Euro-Dollar-Parität – Vorbote einer erneuten Eurokrise?

Quirin Privatbank: Unsere Heimatwährung ist in den letzten Wochen in Richtung ein US-Dollar pro Euro gefallen (sogenannte Euro-Dollar-Parität) und hat damit ein Zwanzigjahrestief erreicht.

Dies hat Befürchtungen um das Aufbrechen einer neuen Eurokrise aufleben lassen.

Die Überlegung dabei: Vor allem die ohnehin schon hoch verschuldeten südeuropäischen Staaten könnten durch das gestiegene – und womöglich noch weiter anziehende – Zinsniveau in arge Finanzierungsschwierigkeiten geraten.

Dies wiederum heize Spekulationen um einen Zerfall des Euro-Währungsraumes an und setze deshalb den Euro-Kurs stark unter Druck.

 

 

Über die konkreten Gründe für Wechselkursbewegungen lässt sich natürlich immer nur spekulieren.

Meist sind es eine ganze Reihe von Faktoren und Wechselwirkungen, die die Kurse bewegen. Dabei kann es aktuell durchaus sein, dass der Euro auch aus den genannten Gründen von spekulativ getriebenen Anlegerinnen und Anlegern nach unten gedrückt wird.

Auch die speziell auf die Euro-Zone einwirkende Gas-Krise dürfte einen gewissen Anteil haben.

 

 

Die aktuelle Ursachenforschung wird aber aus unserer Sicht oft um einige positive Aspekte verkürzt.

  • Die allermeisten Staaten haben das extrem günstige Zinsniveau der letzten Jahre für langfristige Refinanzierungen genutzt, so auch die südeuropäischen Länder. Italiens Staatsanleihen besitzen z. B. eine durchschnittliche Restlaufzeit von rund sieben Jahren. Das schafft erst einmal einen deutlichen Risikopuffer bzw. Kalkulationssicherheit, denn die höheren Zinsen betreffen „nur“ neu aufgenommene Kredite.
  • Das Verschuldungsniveau in Europa ist unbestritten hoch, speziell in einigen südeuropäischen Staaten sogar besorgniserregend hoch. Aber mit einer gesamten Verschuldungsquote (Schuldenstand Ende 2021 gemessen an der Wirtschaftsleistung/Bruttoinlandsprodukt BIP) von rund 95% liegt man in der Euro-Zone noch deutlich besser als die USA mit rund 135%. Und diese Schere hat sich in letzter Zeit auch nicht weiter geschlossen.
  • Auch was das Wirtschaftswachstum anbelangt, liegt derzeit die Euro-Zone möglicherweise vor den USA, wobei wir uns hier auf das Prognoseterrain begeben, das bekanntlich brüchig ist. Die Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die Notenbanken gehen aktuell für die Euro-Zone – trotz Gas-Krise – noch von einem diesjährigen Wachstum im Bereich von 2,5 bis 3% aus, was übrigens insbesondere auch den Südländern zu verdanken wäre. Bei den USA bewegt man sich eher in einem Spektrum von 1,7 bis 2,2% – eine eher außergewöhnliche Wachstumskonstellation.

Insgesamt zeichnen sich aus unserer Sicht in der Euro-Zone derzeit keine neuen strukturellen Krisenherde ab – dem aktuellen Rücktritt von Mario Draghi als Italiens Ministerpräsident zum Trotz.

Aufgrund dieser Sachverhalte gehen wir davon aus, dass der Euro in den letzten Monaten in erster Linie durch die ausgeweiteten Zinsdifferenzen zwischen der Euro-Zone und den USA unter Druck geraten ist.

Die US-Notenbank ist in diesem Jahr mit ihren Leitzinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung mächtig vorgeprescht und hat die sogenannte Fed Fund Rate bis auf die Spanne von 1,5 bis 1,75% hochgezogen.

Der EZB-Leitzins wurde nach einer extrem langen Nullzinsphase gestern unerwartet kräftig auf 0,5% angehoben, hängt damit aber trotzdem noch deutlich hinterher.

Diese Diskrepanz hat vor allem die Zinsdifferenz bei kürzeren Anleihe-Laufzeiten erhöht, was naturgemäß Kapital anzieht.

US-Dollar-Anleihen sind gegenüber Euro-Anleihen in den letzten Wochen und Monaten deutlich attraktiver geworden.

Anlegende fragen also verstärkt Dollar nach, um in diese Wertpapiere umzuschichten, was die US-Währung entsprechend stärkt.

Die folgende Abbildung zeigt exemplarisch die Renditeunterschiede zweijähriger US-Staats- und Bundesanleihen im Zeitverlauf seit der Euro-Einführung.

 

 

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Euro-Schwäche wird derzeit in den Medien ebenfalls viel spekuliert.

Auch dabei lohnt es sich, die relevanten Aspekte etwas genauer zu beleuchten, denn manchmal ist auch hier die Berichterstattung etwas verkürzt.

  • Es ist richtig, dass ein schwacher Euro die sogenannte importierte Inflation befördert. Der Import von Gütern, die in Dollar fakturiert werden, verteuert sich. Das ist insbesondere bei den ohnehin schon extrem teuer gewordenen Energierohstoffen schmerzhaft, die, wie die meisten Rohstoffe, zu dieser Gütergruppe zählen. Dieser Umstand lässt die Rufe nach vermehrten Zinserhöhungen durch die EZB noch lauter werden, um die Inflation in Schach zu halten – was aber wiederum die Konjunktur gefährden könnte.

    Allerdings sollte man bei diesen Überlegungen nicht vergessen, dass der Effekt des in den letzten Monaten besonders schwachen Euros in den aktuellen Inflationsraten bereits berücksichtigt ist. Ein weiteres Anheizen der Inflation von dieser Seite würde daher nur erfolgen, wenn der Euro dynamisch weiter fällt, wovon wir aktuell nicht ausgehen.

  • Ein positiver Effekt der Euro-Verbilligung wird derzeit weniger hervorgehoben: Exporte aus der Euro-Zone vor allem in die USA vergünstigen sich und werden damit für die Amerikaner attraktiver. Die Exporttätigkeit wird angeregt, was einer spürbaren Konjunkturstützung gleichkommt.

Auch die „Wechselkurs-Medaille“ hat eben grundsätzlich zwei Seiten.

 

 

Einfluss auf unsere Kapitalmarktstrategien

Das Herzstück unserer Anlagestrategie stellt eine möglichst breit gestreute Investition in die internationalen Aktien- und Anleihemärkte dar.

Die aktuellen Wechselkursbewegungen schlagen sich hier grundsätzlich wie folgt nieder.

 

Aktienanteil

Durch die Orientierung an der tatsächlichen Kapitalverteilung am globalen Aktienmarkt entsprechend der sogenannten Marktkapitalisierung sind derzeit rund 55% in US-Aktien investiert.

Für Euro-Anlegende spielt neben der reinen Aktienkursentwicklung grundsätzlich auch die Dollarentwicklung eine Rolle. Ein steigender Dollar gegen den Euro führt zu Währungsgewinnen und umgekehrt.

In diesem Jahr führt der schwache Euro bzw. der starke Dollar bislang zu einem entsprechend positiven Effekt – rund 6% positiver Performancebeitrag aufgrund des Dollar-Plus von rund 11% – in ansonsten relativ schwachen Aktienmärkten.

Kurzfristig können sich Währungsbewegungen also durchaus merklich auf die Wertentwicklung eines Aktienportfolios auswirken.

Die Analyse langfristiger Datenreihen zeigt aber, dass sich der Währungseinfluss auf die gesamte Wertentwicklung mit der Zeit verflüchtigt, weil die Wechselkursbewegungen langfristig deutlich von den eigentlichen Aktienkursbewegungen dominiert werden.

Deshalb ist eine Absicherung der Wechselkursrisiken im Aktiensegment eines Depots nicht nötig.

 

 

Anleihenanteil

Da Wechselkursbewegungen auf den schwankungsärmeren Anleiheanteil auch längerfristig einen deutlich stärkeren (und damit schwankungsfördernden) Einfluss haben können, sichern wir diese generell mit Hilfe entsprechender Produkte ab.

Weil aber die entsprechenden Absicherungskosten von den Zinsunterschieden – in erster Linie denjenigen zwischen Dollar- und Euro-Raum – abhängen (je größer der Unterschied, desto teurer die Absicherung), sind sie derzeit angesichts der deutlich gestiegenen Zinsdifferenzen vergleichsweise hoch.

Diese temporär anfallenden Mehrkosten nehmen wir bewusst in Kauf, da die internationale Diversifizierung auch im Anleihebereich einer der wichtigsten Garanten für den langfristigen Anlageerfolg ist.

 

Fazit

Die mittlerweile vielfach auch mit Verweis auf den schwachen Wechselkurs zum US-Dollar heraufbeschworene Eurokrise 2.0 sehen wir aktuell nicht.

Zwar bringt die Euro-Schwäche unbestritten wirtschaftliche Nachteile mit sich, wie in so vielen Bereichen des Lebens hat aber auch diese Medaille zwei Seiten, und die zweite bietet eben auch positive Aspekte, wie beispielsweise die exportunterstützende Wirkung.

Man sollte die aktuelle wirtschaftliche Lage – so herausfordernd sie ohne Zweifel derzeit auch ist – daher nicht schwärzer malen als angebracht.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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