Vontobel: EU-Gipfel Ende Juni – Zusammenfassung der Ergebnisse

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfeltreffens

  • Die Einrichtung einer einheitlichen Bankenaufsicht in der Eurozone ist ein positiver Schritt in Richtung einer stärkeren europäischen Integration;
  • Der ESM erhält mehr Flexibilität im Einsatz seiner Mittel, vor allem darf er Banken direkt rekapitalisieren;
  • Pragmatischer Umgang mit Spanien und Irland;
  • Der Gipfel bekräftigt nochmals die politische Verpflichtung zur Euro-Rettung;
  • Trotz einer Erweiterung seines Aufgabenbereichs wurde die Kreditobergrenze des ESM nicht erhöht. Auch die Möglichkeit, eine Banklizenz zu beantragen, um die finanzielle Schlagkraft des Fonds zu stärken, dessen Finanzvolumen sich  bisher auf 500 Mrd. Euro beläuft, wurde in der Erklärung nicht erwähnt. Unserem Verständnis nach sperrt sich Deutschland weiterhin mit aller Macht dagegen, dem ESM Zugang zur Liquidität der EZB zu gewähren, eine der  Schlüsselforderungen Frankreichs. Dies verdeutlicht die massiven unterschiedlichen kulturellen Auffassungen, was die Rolle der Zentralbank betrifft;
  • Es stehen weder Mittel für die gemeinsame Haftung zusätzlicher Finanzverbindlichkeiten zur Verfügung noch besteht eine Roadmap für eine Fiskalunion. Zudem fanden keine Beratungen über einen gemeinsamen europäischen Sicherungsfonds  statt. Deshalb dürften auch weiterhin Einlagen aus den europäischen Peripheriestaaten abfliessen;
  • Die Gelder für den Wachstumspakt (120 Mrd. Euro, 1% des BIP in der EU) wurden genehmigt. Dabei handelt es sich fast ausschliesslich um Gelder, die im Rahmen anderer Massnahmen bereits vorgesehen waren. Es wurde also kaum frisches  Geld bereitgestellt. Die Mittel reichen zudem nicht aus, um die widrigen kurzfristigen Wachstumsaussichten aufzuhellen;
  • Die grössere Flexibilität und politische Dynamik sind positiv zu bewerten, bewirken aber nur dann etwas, wenn die Auflagen (Memorandum of Understanding) für den Einsatz der ESM-Gelder wirklich gelockert werden und – so würden wir  argumentieren – die Feuerkraft des ESM gestärkt wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich das Volumen des italienischen und spanischen Anleihemarktes auf insgesamt 2.600 Mrd. Euro beläuft. Sollten in diesen Angelegenheiten nicht  bis zum 9. Juli deutliche Fortschritte erzielt werden, dürfte die Begeisterung schon bald in Enttäuschung umschlagen.

Auf dem Gipfeltreffen vom 28. und 29. Juni haben die europäischen Staatenlenker die Notwendigkeit erkannt, ein Übergreifen der Bankenprobleme auf die jeweiligen Regierungen zu verhindern. Zu diesem Zweck soll noch vor Jahresende ein einheitlicher Überwachungsmechanismus für Banken in der Eurozone geschaffen werden. Darüber hinaus darf der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) Banken direkt rekapitalisieren, sofern sie die erforderlichen Kriterien erfüllen. Entsprechende Finanzspritzen für den Bankensektor würden dank dieser Möglichkeit nicht mehr den Staatshaushalt belasten. Es handelt sich bei diesen Beschlüssen zwar um Schritte in die richtige Richtung, sie sind allerdings unzureichend.

Nachfolgend kommentieren wir die einzelnen Aussagen der Gipfelerklärung:

Gipfelerklärung: "Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebender Bedeutung ist, den Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen zu durchbrechen."

Unsere Meinung: Es handelt sich hierbei um eine klare politische Aussage, der wir nur zustimmen können. Schliesslich wurden die Schwierigkeiten in Spanien und Irland durch die Bedürftigkeit ihrer Bankensektoren ausgelöst.

Gipfelerklärung: "Die Kommission wird in Kürze auf der Grundlage von Artikel 127 Absatz 6 Vorschläge für einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus unterbreiten. Wir ersuchen den Rat, diese Vorschläge dringlich bis Ende 2012 zu prüfen."

Unsere Meinung: Diese Entscheidung ist gewissermassen eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Währungsgebiet und ein erster Schritt in Richtung mehr Föderalismus. Offensichtlich müssen noch Einzelheiten geklärt werden. Auch die Terminierung ist ambitioniert. Dennoch ist dieser Schritt in der Tat positiv zu bewerten.

Gipfelerklärung: "Sobald unter Einbeziehung der EZB ein wirksamer einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Banken des Euro-Währungsgebiets eingerichtet worden ist, hätte der ESM nach einem ordentlichen Beschluss die Möglichkeit, Banken direkt zu rekapitalisieren. Dies würde an angemessene Auflagen geknüpft, darunter die Einhaltung der Vorschriften über staatliche Beihilfen, die institutsspezifischer, sektorspezifischer oder gesamtwirtschaftlicher Natur sein sollten und in einer Vereinbarung (MoU) festgeschrieben würden."

Unsere Meinung: Der Geltungsbereich des ESM wurde vergrössert, so dass der Rettungsschirm Banken rekapitalisieren kann, ohne die Staatsfinanzen zu belasten. Dies ist auf ein Zugeständnis Deutschlands zurückzuführen und darf leicht positiv bewertet werden. Dennoch weisen wir darauf hin, dass 1) das Volumen des ESM insgesamt nicht aufgestockt wurde – es beläuft sich unverändert auf 500 Mrd. Euro – und dass 2) keine Angaben zur Art und Weise einer derartigen Rekapitalisierung oder zu entsprechenden Instrumenten gemacht wurden. Erfolgt sie über die Erhöhung des Kernkapitals oder über Vorzugsaktien? Setzt eine Intervention die Umwandlung von Schulden in Eigenkapital voraus? Die falschen Methoden könnten sich negativ auf die Märkte für Bankanleihen auswirken. Ausserdem ist unklar, was mit "angemessenen" Auflagen genau gemeint ist.

Gipfelerklärung: "Die Euro-Gruppe wird die Lage des irischen Finanzsektors im Hinblick auf eine weitere Verbesserung der Nachhaltigkeit des gut funktionierenden Anpassungsprogramms prüfen. Vergleichbare Fälle werden gleich behandelt."

Unsere Meinung: In dieser Vorgehensweise spiegelt sich das Motto "der Tüchtige wird belohnt" wider. Wir gehen davon aus, dass auch Portugal weitere Finanzhilfen erhält, solange das Land die Auflagen erfüllt.

Gipfelerklärung: "Wir fordern den raschen Abschluss der Vereinbarung (MoU), die zur finanziellen Unterstützung Spaniens zwecks Rekapitalisierung des spanischen Bankensektors gehört. Wir bekräftigen, dass die finanzielle Unterstützung über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) bereitgestellt wird, bis der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zur Verfügung steht, und dass sie dann auf den ESM übertragen wird, ohne den Status der Vorrangigkeit zu erhalten."

Unsere Meinung: Da noch keine Finanzaufsicht gegründet wurde und ihre Arbeit aufgenommen hat, erfährt Spanien die obenerwähnte Sonderbehandlung. Die Tatsache, dass die Gelder zur Rekapitalisierung nicht den Status der Vorrangigkeit gegenüber bestehenden Anleihen erhalten, ist kurzfristig auf jeden Fall positiv zu bewerten, da hierdurch ein Kollaps des spanischen Anleihemarktes gerade noch verhindert werden konnte. Es wurde nicht ausdrücklich erwähnt, ob der Vorrangstatus von ESM-Krediten aufgehoben wurde oder nicht. Äusserungen Deutschlands zufolge stellt Spanien eine Ausnahme dar. Wir glauben nicht, dass sich der Status der ESM-Kredite ändern wird, da der ESM in seiner jetzigen Form bereits vom Bundestag gebilligt wurde. Aber es zeigt sich, dass bei Bedarf Ausnahmen gemacht werden.

Gipfelerklärung: "Wir bekräftigen, dass wir nachdrücklich dafür eintreten, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet sicherzustellen, insbesondere durch flexible und effiziente Nutzung der vorhandenen EFSF/ESM-Instrumente, um die Märkte für die Mitgliedstaaten zu stabilisieren, die im Rahmen des Europäischen Semesters, des Stabilitäts- und Wachstumspakts bzw. des Verfahrens bei einem übermäßigen Ungleichgewicht ihre länderspezifischen Empfehlungen und ihre anderen Verpflichtungen einschließlich ihrer jeweiligen Fristvorgaben einhalten. Diese Auflagen sollten in einer Vereinbarung (MoU) niedergelegt werden. Wir begrüßen, dass die EZB sich damit einverstanden erklärt hat, als Vertreter der EFSF/des ESM bei der wirksamen und effizienten Durchführung von Markttransaktionen zu fungieren. Wir beauftragen die Euro-Gruppe, diese Beschlüsse bis zum 9. Juli 2012 umzusetzen."

Unsere Meinung: Dieser Abschnitt betrifft die Länder, die über Gebühr unter den übertriebenen Zinsen zur Finanzierung ihrer Schulden leiden, also in erster Linie Italien, aber auch Spanien. Die darin beschriebenen Erklärungen können als mild positiv betrachtet werden, da nicht eine typische Rettung unter Kontrolle der Troika angestrebt wird, sondern eine weniger drastische Version. Wir weisen dennoch darauf hin, dass 1) der 500 Mrd. Euro schwere ESM nicht aufgestockt wurde und 2) sich die Euro-Partner im Rahmen einer Vereinbarung, dem so genannten Memorandum of Understanding (MoU), noch auf Auflagen für die Inanspruchnahme von Stabilitätshilfe einigen müssen. Bezeichnenderweise hat Italien trotz der unhaltbaren Renditeniveaus für Anleihen (bisher) noch nicht auf diese Hilfeleistungen zurückgegriffen. Man könnte zynisch behaupten, dass dieser Teil der Erklärung fast keine Neuerungen enthält und die Nachbesserungen dazu dienen, die Diskrepanz gegenüber dem Standpunkt der EZB zu schliessen. Sollten Länder besagte Hilfe in Anspruch nehmen, soll nämlich die EZB mit ihrem SMP-Programm einspringen, wogegen sie sich wehrt. Sie verlangt hartnäckig, dass stattdessen der ESM gefordert wird. Als Kompromiss bietet die EZB an, den ESM beim Einsatz seiner Gelder in den entsprechenden Märkten zu beraten und zu unterstützen.

Kurzzusammenfassung der auf dem EU-Gipfels erörterten Themen

 

  erklärtes Ziel Ziel erreicht
1. ESM    
Direkte Rekapitalisierung von Banken Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen durchbrechen Ja. Bank-Bailout lässt Staatsver-schuldung nicht ansteigen.
ESM-Banklizenz ESM erhält Zugang zu EZB-Geld Nicht ausdrücklich. Aber der Gedanke einer Zusammenarbeit der Bankenaufsicht mit der ESM und EZB besteht.
Vorrangigkeit Keine Vorrangigkeit der offi-ziellen Kredite an Spanien gegenüber bestehenden Anleihen Ja. Die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr privater Anleger an den europäischen Staatsanleihemarkt ist gestiegen. 
Nein. Deutschland behauptet, dies gelte nur für Spanien.
Flexibilität Wachstum und Sparsamkeit in Einklang bringen Ja. Lockerung bei der Auferlegung von Auflagen.
Erneute Überprüfung Irlands Rückwirkende Anpassung Ja. Ausdrückliche Erklärung.
2. Bankenunion Gemeinsame Überwachung systemrelevanter Banken in Europa oder der Euro-Zone Nein. Sorgen um die Finanzhoheit (Vereinigtes Königreich). 
Nein. Noch kein neues Organ gegründet. 
Ja. Kurze sechsmonatige Frist für Aufbau einer neuen Bankenaufsicht.
3. Aufkauf von Staatsanleihen Verringerung der Finanzierungskosten Ja. EZB als "Vertreter … bei der wirksamen und effizienten Durchführung von Markttransaktionen."
4. Wachstumspakt Stützung des Wirtschaftswachstums Ja. Rund 100 Mrd. Euro sollen aus den EU-Strukturfonds fliessen. 
Nein. "Neue Gelder" erforderlich.
5. Einlagensicherung Verhinderung von Bankenstürmen Nein. Keinerlei Erwähnung, zuvor von Deutschland abgelehnt.
6. Politische Konstellation Stärkere politische und fiskalische Union Ja. Neue Ausrichtung: Italien-Spanien-Frankreich vs. Deutschland (vorher: Frankreich-Deutschland vs. Italien-Spanien).

von Christophe Bernard und Alan Zlatar

Themen im Artikel

Infos über Vontobel

    Vontobel:

    Vontobel bietet eine breite Auswahl an strukturierten Finanzinstrumenten: Von Zertifikaten über Aktienanleihen bis hin zu Hebelprodukten bietet das Produktuniversum der schweizer Privatbank alles. Ein moderner Investmentansatz und die Möglichkeit g...

    Disclaimer & Risikohinweis

    Vontobel News

    Weitere Trading News

    DKB plant Stellenstreichungen

    Finanznachrichten: Die Deutsche Kreditbank (DKB) hat im vergangenen Jahr ihre Spareinlagen infolge der Zinswende deutlich gesteigert. Wie DKB-Chef Stefan Unterlandstättner (Foto) und Finanzvorstand Jan Walther in...