Vontobel: Ist die Korrektur weit genug gegangen?

Das Sprichwort «sell in May and go away» hat sich letzten Monat angesichts der negativen Performance risikobehafteter Anlagen einmal mehr bewahrheitet. Einige Aktienmärkte wie Spanien und Italien, aber auch Brasilien und Russland sind weiter in "Bärengefilde" vorgestossen. Das Minus in diesen Märkten gegenüber den jüngsten Höchstständen betrug 20% und mehr.

Wir halten den Einbruch durchaus für gerechtfertigt. Gründe dafür sind die ungelöste Schuldenkrise in der Eurozone einerseits und die kurzfristigen Hürden für das weltweite Wirtschaftswachstum andererseits.

Wahlen in Griechenland
Der Patt bei den Wahlen in Griechenland am 6. Mai hat die Bildung einer Regierung verunmöglicht. Dies hat den Marktteilnehmern das unmittelbare Risiko eines Zahlungsausfalls Griechenlands und eines ungeordneten Austritts des Landes aus der Eurozone vor Augen geführt. Eine solche Entwicklung hätte unabsehbare Folgen für die übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion. Zudem hat sich die Lage in Spanien massiv zugespitzt, da die erforderliche Rekapitalisierung der spanischen Banken die Regierung vor eine nicht zu bewältigende Aufgabe stellt, während die Sparmassnahmen einen heftigen Konjunkturabschwung zur Folge haben. Eine schnelle Lösung für diese Probleme ist nicht in Sicht, da jeder Lösungsansatz eine gewisse gemeinschaftliche Gesamt- oder Teilhaftung für die Schulden der Eurozone umfassen müsste und die Länder dazu zwingen würde, einen Teil ihrer Souveränität aufzugeben. Die geltenden Verträge sehen keinen solchen Ausweg vor und auch die Europäische Zentralbank (EZB) stösst bei der Abfederung der negativen Folgen der Krise irgendwann an ihre Grenzen. Früher oder später muss sich die politische Führung mit der Zukunft der Währungsunion auseinandersetzen und die Verträge gegebenenfalls anpassen. Und die Zeit wird langsam knapp, da neue politische Kräfte wie die griechische Syriza oder die italienischen Cinque Stelle den europäischen Konsens in Frage stellen und einer desillusionierten Wählerschaft durchaus Alternativen bieten könnten. Dies erklärt auch die vorsichtigere Haltung der Märkte in den letzten beiden Monaten. Unter akutem Druck wird sich nach unserer Überzeugung ein Kompromiss zur Rettung des Europrojekts herauskristallisieren – der «Euro-Schuldenfonds» des Sachverständigenrats der deutschen Regierung könnte beispielsweise ein guter Anfang sein. Unseres Erachtens dürfte die Schmerzgrenze bald erreicht sein, an der intensiver Druck radikale Massnahmen auslöst.

Die negativen Entwicklungen in Europa belasten das Wirtschaftswachstum weltweit. Die Schwellenländer schneiden eindeutig besser ab, obwohl auch hier die tonangebenden Staaten wie China, Indien oder Brasilien derzeit «schwächeln». Wir gehen aber davon aus, dass die lockere Geldpolitik und die Massnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums in China weltweit zu besseren Wachstumsaussichten beitragen werden – wobei sich die Wirkung dieser Massnahmen erst im Verlauf der Zeit zeigen wird.

Entwicklung der Wirtschaft
Im Hinblick auf die US-Wirtschaft fragen wir uns, wie lange die Vereinigten Staaten ungeachtet der weltweiten Wirtschaftslage noch auf ihrem Wachstumspfad bleiben können. Die US-Wirtschaft profitiert von der proaktiven Haltung der Notenbank Fed, die das Risikomanagement zu den zentralen Aspekten ihres geldpolitischen Arsenals zählt. In den letzten sechs Monaten sind in beträchtlichem Ausmass neue Stellen geschaffen worden und auch der Immobilienmarkt hat sich stabilisiert; Anzeichen einer Erholung von einem niedrigen Niveau werden sichtbar. Die Nachhaltigkeit dieses Wachstums ist allerdings fraglich, wenn man das umfangreiche Haushaltsdefizit in Höhe von 8% des BIP betrachtet. Zudem laufen Ende 2012 bestimmte Programme zur Förderung der Konsumnachfrage im Inland aus, so etwa die Steuersenkungen der Regierung Bush und die Lohnsteuerfreistellung (Payroll Tax Holiday). Demokraten und Republikaner könnten sich zwar noch auf eine Abfederung der negativen Konjunktureffekte, die eine härtere haushaltspolitische Gangart mit sich bringen würde (die so genannte Haushaltsklippe), einigen. Doch angesichts der fundamental unterschiedlichen Ansichten der beiden Kongressparteien hinsichtlich der Behebung des strukturellen Defizits ist eine gemeinsame Linie kaum vorstellbar. Die Aussichten bezüglich des Wirtschaftswachstums für die Jahre 2013 und 2014 sind in jedem Fall unsicher.

Die Marktteilnehmer beziehen allerdings die geringeren Wachstumsaussichten allmählich in ihre Überlegungen ein, so dass das Verlustrisiko begrenzt sein dürfte. Zinssenkungen in zahlreichen Schwellenländern und rückläufige Ölpreise dürften zudem in Zukunft willkommene Unterstützung bieten. Wir halten jedoch das Risiko/Renditeverhältnis noch nicht für ausreichend attraktiv, um den Anteil risikobehafteter Anlagen in den Portfolios zu erhöhen. Daher raten wir an den Aktienmärkten weiterhin zu Vorsicht und arbeiten mit hohen Beständen an liquiden Mitteln, um Chancen rasch nutzen zu können.

Staatsanleihen oder Unternehmensanleihe?
Staatsanleihen aus den so genannten Industrieländern stellen für uns keine valable Alternative dar; Anlegern in deutschen Bundesanleihen sei geraten, die Duration auf das absolut erforderliche Minimum zu reduzieren. Auf den heutigen Niveaus ist die Bewertung dieser Anleihen unter anderem Ausdruck einer berechtigten Angst vor einem Zusammenbruch des Euro. Es besteht aber ein ausgeprägtes Risiko, falls Deutschland irgendwann seine harte Haltung gegenüber jeglicher gemeinschaftlicher Haftung für die gesamten oder einen Teil der Schulden der EU-Mitgliedstaaten aufgibt. Wir ziehen eindeutig Anlagen in hoch verzinslichen Unternehmensanleihen und Anleihen aus Schwellenländern vor.

Im Zuge der scheinbaren Abnahme der Spannungen im Rahmen des iranischen Nuklearprogramms hat sich der Ölpreis deutlich zurückgebildet. Der Preis für die Sorte WTI liegt bei rund USD 90 je Barrel und damit nicht signifikant über den Grenzkosten der Produktion. Das Risiko/Renditeverhältnis scheint somit zunehmend attraktiv.

Von Christophe Bernard

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