Banken unter Stress: Einzelfälle oder erneute Systemkrise?

Quirin Privatbank: Erschütterungen in der amerikanischen und schweizerischen Bankenlandschaft haben in den letzten Tagen Furcht vor einer erneuten flächendeckenden Finanzkrise geschürt – starke Schwankungen an den Kapitalmärkten inklusive.

Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen zunächst einen kurzen Überblick über den Hintergrund dieser Ereignisse verschaffen, um anschließend zu begründen, warum sie nach unserer Einschätzung nicht den Beginn einer „Finanzkrise 2.0“ markieren.

 

Auslöser für die aktuellen Turbulenzen in der US-Bankenlandschaft

In den USA sind einige spezialisierte (Regional-)Banken ins Schlingern geraten. Drei mussten dabei jüngst kurz hintereinander ihre Pforten schließen, namentlich Silvergate Capital, die Silicon Valley Bank (SVB) und die Signature Bank. Alle drei waren im Bereich der Start-up- bzw. Krypto-Finanzierung tätig.

Vor allem die in den USA durchaus bekannte SVB war eine Art Hausbank des Silicon Valley, der Heimat vieler erfolgreicher Technologiefirmen.

Ihr ohnehin schon risikoreiches und spezialisiertes Geschäftsmodell stürzte letztlich aber wegen Liquiditätsproblemen ein.

Das kalifornische Bankhaus hatte Einlagen seiner Kundinnen und Kunden in langlaufende Anleihen investiert, deren Kurse dann im Zuge der massiven Zinserhöhungen der Notenbanken sowie des dadurch ausgelösten Renditeanstiegs an den Anleihemärkten kräftig fielen (siehe nachfolgender Chart).

 

 

Aufgeschreckt zogen viele Anlegerinnen und Anleger verstärkt Gelder ab, was die Bank in Schieflage brachte. Im Zuge dessen kam es auch zu erheblichen Mittelabflüssen bei der ähnlich strukturierten Signature Bank.

Beide Institute werden nun von den US-Finanzbehörden zwangsabgewickelt (Silvergate Capital gab freiwillig auf) – unter Absicherung aller Einlagen.

 

 

Weitere kleinere bis mittelgroße US-Banken haben nun in der Folge ebenfalls mit erheblichen Geldabzügen von besorgten Sparerinnen und Sparern zu kämpfen, speziell jene, die bei ihren Instituten mehr als die üblicherweise durch die US-Einlagensicherung abgedeckten 250.000 US-Dollar pro Person und Bank angelegt haben.

 

 

Die Schweiz im Auge des Sturms

Nach Europa schwappte die Unruhe durch die Probleme und den letztlichen Zusammenbruch der traditionsreichen Schweizer Großbank Credit Suisse.

Auch sie hatte mit einem massiven Abzug von Vermögenswerten zu kämpfen, die Gründe dafür sind allerdings anders gelagert als bei den genannten US-Instituten.

Die Krise bei der einst so stolzen Credit Suisse schwelte schon länger.

Nachfolgend nur ein Auszug aus den Fehltritten, die im Laufe der letzten Jahre schleichend zu einem immer größeren Vertrauensverlust führten:

  • Im März 2020 brach der US-Hedgefonds Archegos zusammen und bescherte der Credit Suisse einen Verlust von rund 5,5 Mrd. US-Dollar. Im Zuge der Aufklärung wurde bei den zuständigen Behörden von „grundlegendem Versagen des Managements und der Kontrollen in der Bank“ gesprochen.
  • Im selben Monat mussten die Schweizer vier Fonds zur Lieferketten-Finanzierung im Gesamtvolumen von 10 Mrd. US-Dollar einfrieren. In Verbindung mit dem insolventen britischen Finanzhaus Greensill Capital hatte die Credit Suisse ihren Kundinnen und Kunden die Fonds zuvor als risikoarme Produkte verkauft. Die schweizerische Finanzmarktaufsicht sprach im Anschluss von schweren Verstößen gegen die Regeln des Risikomanagements.
  • Anfang 2022 deckte die Süddeutsche Zeitung aufgrund eines Datenlecks Details über Zehntausende Kundinnen und Kunden auf, unter ihnen bekannte Größen der organisierten Kriminalität, Diktatoren und Steuerflüchtlinge.

 

Dass die Bank bereits seit Längerem mit Problemen zu kämpfen hatte, dokumentiert auch die Entwicklung ihres Aktienkurses (siehe nachfolgenden Chart).

 

 

Anfang März 2023 setzte dann eine aufgrund von bilanziellen Mängeln und mangelhaften Kontrollsystemen verzögerte Veröffentlichung des Jahresberichts 2022 die finale Abwärtsspirale in Form von massiven Mittelabzügen in Gang.

Die Aussage ihres saudischen Großaktionärs, der Bank kein zusätzliches Kapital zur Verfügung zu stellen, beschleunigte die Entwicklung nur noch weiter.

Die zuletzt kräftig gestiegenen Zinsen und die Bank-Turbulenzen in den USA sind nicht für den Einsturz der Credit Suisse verantwortlich, es waren nur die Tropfen, die das Fass endgültig zum Überlaufen brachten.

 

 

Wie in den USA ergriff auch in der Schweiz die Regierung die Initiative und forcierte die Übernahme des gefallenen Bank-Riesen durch eine andere Schweizer Großbank, die UBS – inklusive Bundesgarantien für den Fall außergewöhnlicher Verluste im Zuge der Transaktion und immenser Liquiditätshilfen.

Sparerinnen und Sparer werden im Rahmen dieser Lösung ohne Schaden aufgefangen.

Leidtragende in puncto Geldanlage sind die Aktionäre, die gravierende Verluste tragen müssen, sowie (weitgehend institutionelle) Gläubiger von bestimmten, nachrangig besicherten und somit risikoreichen Anleihen, die im Falle der Credit Suisse sogar mit einem Totalverlust konfrontiert sind.

 

Finanzkrise 2.0 voraus?

Viele Menschen fragen sich nun, ob diese Ereignisse die Vorboten einer breit angelegten Finanzkrise sind, wie wir sie im Jahr 2008 im Zuge des Zusammenbruchs der US-Investmentbank Lehman Brothers erlebt haben – vor allem in den Medien wird die Karte einer neuerlichen Systemkrise durchaus gespielt.

Dabei wird aber verkannt, dass es sich im Gegensatz zu damals nicht um flächendeckende Probleme in der Bankenwelt handelt.

Die Probleme der Credit Suisse sind letztlich hausgemacht und nicht systematischer Natur.

Gleiches gilt für die „Klumpenrisiken“, die die US-Banken zu Fall gebracht haben.

 

Insbesondere die durch einen zu starken Anlageschwerpunkt in langlaufenden Anleihen verursachten Risiken sind für den ansonsten deutlich breiter aufgestellten und stabileren (Groß-)Bankensektor eher untypisch.

Nach unserer Einschätzung sind die von diesen Problemen betroffenen US-Banken zudem zu klein, zu speziell und zu wenig mit anderen Häusern verflochten, um den internationalen Kapitalmarkt zu gefährden. Daher gehen wir nicht von einer weiteren Ausbreitung der Krise aus.

Trotzdem ist es wichtig und richtig, dass die zuständigen Finanzbehörden und Notenbanken stabilisierend und liquiditätssichernd gegensteuern; nachfolgend ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen:

  • Durch den Ausbau sogenannter Swap-Geschäfte, mit denen die Zentralbanken Fremdwährungen untereinander austauschen, sollen die Zentralbanken außerhalb der USA besser mit Dollar versorgt werden. Da ein großer Teil der globalen Finanzgeschäfte in Dollar abgewickelt wird, besteht bei international tätigen Banken ein ständiger Bedarf nach der US-Währung.
  • Einige US-Großbanken, z. B. Branchenführer wie JPMorgan Chase, Bank of America oder Goldman Sachs, sind kleineren Banken mit (unversicherten) Einlagen in Milliardenhöhe beigesprungen.
  • Das US-Finanzministerium und die Fed signalisieren, dass sie Sparerinnen und Sparern auch bei weiteren Unregelmäßigkeiten im Bankensektor zur Seite stehen wollen.
  • Die Fed hat zudem ein neues, bereits rege genutztes Kreditprogramm aufgelegt, bei dem Banken kurzfristige Kredite gegen Anleihen als Sicherheit bekommen können. Dabei werden die Kreditbeträge am Nennwert bzw. Rückzahlungswert der Anleihen ausgerichtet, auch wenn sie derzeit kursverlustbedingt weniger wert sind.
  • EZB-Präsidentin Christine Lagarde beteuerte im Rahmen der jüngsten Zinssitzung, Banken bei Bedarf ausreichend Liquidität bereitzustellen. Details nannte sie dabei nicht, die europäische Bankenwelt ist aber zur Stunde auch bei weitem nicht so stark von Mittelabflüssen betroffen wie einige US-Banken.

 

All diese Stabilisierungsmaßnahmen und Aussagen sollen Vertrauen in die Standsicherheit der weitgehend gesunden Banken bilden, damit Anlegerinnen und Anleger nicht im großen Stile die Geldhäuser „stürmen“.

Übrigens ist die schnelle und zielgerichtete Initiative der Notenbanken und Finanzbehörden ein positives Unterscheidungsmerkmal zur Situation im Jahr 2008. Anders als damals lassen alle Beteiligten keinen Zweifel am Handlungswillen aufkommen. Seinerzeit ließ man Lehman Brothers in die Pleite schlittern, auch um ein Exempel zu statuieren.

Heute dagegen werden binnen weniger Stunden die gesamten Einlagen einer mittelgroßen US-Bank garantiert und es wird übers Wochenende ein Zusammenschluss zweier Bank-Giganten orchestriert. Offenbar haben die Verantwortlichen aus der Finanzkrise 2008/09 gelernt.

Zu viel Zaudern und Zögern ist in solchen Situationen schlicht und einfach fehl am Platze.

 

 

Zur heutigen, im Vergleich zu 2008 deutlich verbesserten Stabilität des Bankensektors trägt auch bei, dass Banken mittlerweile wesentlich höhere Kapital- und Liquiditätspuffer vorhalten müssen, um besser für Krisen gewappnet zu sein.

So hat sich z. B. die Median-Kernkapitalquote der 22 im Aktienindex Euro Stoxx Banks notierten Banken seit 2008 von 7,3% auf 16% mehr als verdoppelt.

Das macht die befürchteten Ansteckungs- oder Dominoeffekte zulasten der Kapitalmärkte erheblich weniger wahrscheinlich.

Allerdings muss man kritisch konstatieren, dass speziell in den USA unter der Regierung Trump einige schärfere Regulierungen wieder aufgeweicht wurden, was durchaus auch zu den aktuellen Problemen beigetragen haben dürfte.

Positiv im Sinne der Vertrauensbildung und als Zeichen der Stärke interpretieren wir wiederum, dass sich die Notenbanken – bei aller Vehemenz, mit der man sich der Stabilisierung des Bankensektors verschreibt – nicht Knall auf Fall von der Inflationsbekämpfung verabschieden.

Mögliche Stabilisierungsmaßnahmen wären durchaus auch der Stopp der Zinserhöhungen oder gar Zinssenkungen gewesen.

Sowohl die EZB als auch die Fed erhöhten auf ihren jüngsten Sitzungen allerdings nochmals den Leitzins – in der Euro-Zone von 3,0 auf 3,5% und in den USA um 0,25% auf eine Spanne von 4,75 bis 5,0%, eben mit dem Verweis auf das anhaltende Erfordernis, die Inflation weiter zurückzudrängen.

 

 

Die Kapitalmärkte jedenfalls scheinen die beschriebenen Stützungsmaßnahmen und Notenbankaktionen bislang zu goutieren.

Sie zeigten sich zwar in den letzten Wochen schwankungsanfälliger, stärkere Kurseinbrüche sind aber bislang ausgeblieben.

So liegt beispielsweise der MSCI World Index (in seiner angestammten Währung US-Dollar) seit Jahresbeginn noch rund 3% im Plus.

 

 

Fazit

Trotz der derzeitigen Turbulenzen bleibt es aus unserer Sicht entscheidend, konsequent in international breitestmöglich diversifizierten Anlagestrategien investiert zu bleiben.

Ob sich die derzeitige Unruhe, wie von uns erwartet, tatsächlich schnell wieder legt oder ob es vorübergehend zu weiteren Eskalationen kommt, lässt sich nicht sicher sagen.

Doch derartige Turbulenzen sollten die aus guten Gründen gefällten langfristigen Anlageentscheidungen ohnehin nicht in Zweifel ziehen.

Schwächere Aktienkurse sind sogar eher ein Grund einzusteigen und nicht, sich emotional getrieben von seinen Aktienbeständen zu trennen.

Am Ende ärgert man sich meist nur darüber, vorschnell ausgestiegen zu sein und den Wiedereinstieg verpasst zu haben.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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