Auswirkungen der Deglobalisierung auf die Rente

Quirin Privatbank: Im November wird meine Tochter vier Jahre und wir wollen ihr ein Fahrrad schenken. Eines der Marke WOOM, weil die besonders leicht und auch sonst sehr durchdacht sind.

Dass wir es dieser Tage tatsächlich bestellen konnten bzw. dass das österreichische Unternehmen aktuell liefern kann, ist ein echter Glücksfall. Denn das war nicht immer so.

WOOM-Fahrräder sind seit der Gründung des Unternehmens 2013 sehr gefragt und oft vergriffen.

Die Lieferschwierigkeiten haben sich mit der coronabedingt explodierenden Nachfrage nach Fahrrädern aller Größen zusätzlich verschärft – es gab Zeiten, da mussten Kunden monatelang auf ein Fahrrad warten.

 

Zusammenbruch der weltweiten Lieferketten

Die Hauptursache dafür waren Lieferschwierigkeiten, ausgelöst durch den Zusammenbruch der weltweiten Lieferketten infolge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Lockdowns.

Ein Fahrrad besteht aus bis zu 50 Einzelteilen. Wenn nur eines davon fehlt, kann es nicht zusammengebaut werden.

Der Handelskrieg zwischen den USA und China, die Corona-Pandemie, der in diesem Jahr ausgebrochene Krieg in der Ukraine – all das hat uns vor Augen geführt, wie komplex und empfindlich die weltweiten Lieferketten sind und wie schnell sich deren Störung auf die Verfügbarkeit bestimmter Produkte auswirkt.

Nun kann man längere Wartezeiten bei Fahrrädern vielleicht noch ganz gut einkalkulieren oder verkraften, doch die Lieferkettenproblematik betraf bzw. betrifft verschiedenste Rohstoffe und Produkte: Holz, Sonnenblumenöl, Halbleiterchips, Erdgas, Mund-Nase-Masken – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Und der Schuldige ist schnell ausgemacht: die Globalisierung der Weltwirtschaft sowie die nun nicht mehr reibungslos funktionierenden oder stark eingeschränkten Lieferketten.

 

 

Ruf nach Renationalisierung

Da viele Branchen betroffen sind, wird die Debatte um eine Deglobalisierung momentan hitziger, der Ruf nach einer Renationalisierung lauter.

Ich werde in diesem Zusammenhang immer mal wieder gefragt, was ich davon halte, ob eine Deglobalisierung überhaupt möglich ist, welche Vor-, aber auch welche Nachteile das hätte.

Und ich muss Ihnen ehrlich sagen: gar nichts – ich halte gar nichts davon, die Errungenschaften einer globalisierten Weltwirtschaft wieder rückgängig zu machen, weil es gerade mal etwas ungemütlicher zugeht und es – zugegebenermaßen heftig – knirscht in den weltweiten Lieferketten.

Doch von vorn: Die Diskussion um das Ende der Globalisierung ist nicht neu – wenn Sie durch die Presse scrollen, finden Sie entsprechende Artikel, die drei, fünf oder zehn Jahre alt sind.

So schrieb beispielsweise die WELT bereits 2016, dass die Globalisierung auf dem Rückzug ist.

 

 

Verwiesen wird in der öffentlichen Diskussion dabei oft und gerne auf die Nachteile einer globalisierten Wirtschaft und auf die Vorteile einer wieder eher heimatorientierten Produktion.

Es wird ein hohes Lied auf weniger Umweltbelastung, weniger Abhängigkeit, weniger Erpressbarkeit gesungen – und ja, alle diese Punkte sind valide und berechtigt.

Vergessen wird dabei jedoch ein entscheidender Aspekt, den ich bereits in meinem Podcast zu dem Thema betont habe: Die derzeit diskutierte Deglobalisierung unserer Welt würde einen erheblichen Wohlstandsverlust bedeuten, und zwar nicht nur für uns Europäer, denen es im globalen Vergleich gut geht.

Nein, es wäre ein Wohlstandsverlust für alle Menschen weltweit, insbesondere in den aufstrebenden Schwellenländern, in dem Sinne, dass Wohlstand, der durch die Globalisierung entstehen würde, dann doch nicht entsteht – oder nur ungleich langsamer.

Denn gerade in Schwellenländern ist die Globalisierung der Hauptgrund für eine deutliche Zunahme des Wohlstands und vor allem für eine wachsende Mittelschicht.

Zudem hat sich dadurch die Versorgung mit Trinkwasser und medizinischen Leistungen deutlich verbessert – weltweit.

Seit es Menschen gibt, wird Handel über Ländergrenzen hinweg betrieben und das bringt für alle Beteiligten einen höheren Lebensstandard.

Oder aus ökonomisch-wissenschaftlicher Sicht: Seit den Arbeiten von David Ricardo vom Anfang des 19. Jahrhunderts ist die Vorteilhaftigkeit von Außenhandel für alle Beteiligten eins der wenigen „Naturgesetze“ der Volkswirtschaftslehre.

 

 

Folgen der Deglobalisierung für Deutschland

Gerade für Deutschland als Außenhandelsnation wären die negativen Wohlstandseffekte erheblich. Das zeigt ein Blick auf ausgewählte Zahlen, die nur Deutschland betreffen.

Sie belegen, wie verheerend ein Ende der globalisierten Wirtschaft für unser Land wäre. So würde beispielsweise ein Handelskrieg mit China sechsmal so hohe Kosten verursachen wie der Brexit.

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt würde laut ifo Institut um 10 Prozent sinken, wenn Deutschland Produktionen im großen Stile aus dem Ausland zurück nach Hause verlagern würde.

Fakt ist, für Deutschland wäre eine Deglobalisierung verhängnisvoll, da wir sehr rege mit anderen Ländern handeln – so liegt unsere Außenhandelsquote (Importe und Exporte zusammen) bei 88 Prozent gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung (BIP).

Zum Vergleich: In den USA liegt dieser Wert nur bei 26 Prozent. Die deutsche Wirtschaft hängt also sehr stark von Geschäften mit dem Ausland ab.

Bundeskanzler Olaf Scholz brachte es bei der Eröffnung des Tesla-Werkes bei Berlin wie folgt auf den Punkt:

 

 

Was weniger Globalisierung für uns als „Exportweltmeister“ bedeuten würde, und zwar im Portemonnaie eines jeden einzelnen Bürgers, das hat das Institut für Weltwirtschaft schon vor zwei Jahren einmal ausgerechnet, und zwar bezogen auf das Rentenniveau.

2018 lag die durchschnittliche Rente bei 905 Euro im Monat. Würde die Hälfte des Außenhandels wegfallen, gingen jeden Monat nur noch 748 Euro auf dem Konto ein.

Verzichteten wir gänzlich auf den Außenhandel, läge das Rentenniveau bei 540 Euro – das sind 40 Prozent weniger als mit Außenhandel.

Ein drastischer Unterschied, wie ich finde.

 

 

Der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger wies in der FAZ noch auf einen weiteren Aspekt hin und bezeichnete die Deglobalisierung, die wir derzeit unfreiwilligerweise erleben, als einen wesentlichen Treiber der aktuellen Inflationsentwicklung.

„Durch die Corona-Krise, den Ukraine-Krieg und vor allem auch die ungewisse Entwicklung in China reißen Lieferketten ab. Das treibt die Kosten und das trifft Deutschland besonders.“

Er erklärt weiter, dass in Deutschland bei einer Deglobalisierung in Zukunft mit anhaltend hohen Inflationsraten gerechnet werden müsse. Ein weiterer Aspekt also, der gegen eine Deglobalisierung spricht.

Bei aller Befürwortung ist gleichzeitig aber natürlich unbestritten, dass die Globalisierung, so wie wir sie aktuell leben, Probleme mit sich bringt.

Denken wir an die Ausbeutung von Arbeitskräften in Billiglohnländern, die Belastung der Umwelt durch die gestiegenen Warentransporte rund um den gesamten Globus, die starke Abhängigkeit von einzelnen Staaten, die uns insbesondere in Krisen erpressbar macht, wie der aktuelle Konflikt mit Russland zeigt.

Deshalb ist ein Wandel der Globalisierung sinnvoll und erstrebenswert.

Aber im Sinne einer verantwortungsvollen Weiterentwicklung, nicht mit dem zum Scheitern verurteilten Versuch, das Rad zurückzudrehen.

 

 

Denn: Ohne weltweiten Handel geht es nicht – wichtiger muss in Zukunft aber auf jeden Fall der Blick auf das politische System des Landes werden, in dem produziert werden soll, und dessen politische Stabilität.

Da wurde bisher oft großzügig drüber hinweggesehen. Zudem müssen wir uns breiter aufstellen bei den Lieferanten, mit denen wir arbeiten – damit reduzieren wir Abhängigkeiten von einzelnen Ländern.

Wichtige Rohstoffe der Grundversorgung sollten zudem verstärkt im eigenen Land hergestellt werden oder, wenn möglich, ausreichend gelagert werden. Insgesamt sollte ein vernünftiger Mittelweg her, nicht alles um jeden Preis im Ausland produzieren, aber auch nicht auf Krampf und aus Frust über hängende Lieferketten alles wieder nach Hause holen wollen.

Statt Offshoring (Verlagerung ins Ausland) und Onshoring oder Reshoring (alles zurück nach Hause holen) wäre meiner Meinung nach sozusagen ein „Rightshoring“ sinnvoll.

Hier würde abgewogen: Was sollte ich wirklich in Deutschland produzieren, beispielsweise Güter der Grundversorgung wie Medikamente und Nahrungsmittel, und was kann und sollte international produziert werden?

 

 

Fazit: Die Globalisierung und die internationale Arbeitsteilung waren schon immer und bleiben auch in Zukunft der Schlüssel für steigenden Wohlstand, weltweit. Wie alles im Leben wird sich aber auch die Globalisierung nicht von erforderlichen Veränderungsprozessen frei machen können. Und das ist gut so.

Denn wir sind heute immer schlauer als gestern, wir wissen heute, dass es besser ist, sich bei Lieferanten breit aufzustellen, bestimmte Produkte zu Hause zu fertigen und uns nicht zu abhängig von einigen wenigen Handelspartnern zu machen.

Ein Zurückdrehen der Globalisierung, wie es derzeit an vielen Stellen diskutiert wird, sehe ich persönlich deshalb überhaupt nicht, es wäre zu unser aller Nachteil.

Das gilt vor allem in Zukunft mehr denn je, denn die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse auf der Erde verschieben sich.

Neue Marktpotenziale entstehen einer Studie der vbw zufolge heute mehr denn je jenseits des Westens – eine Deglobalisierung würde sie für die deutsche Wirtschaft verschließen.

Wenn wir diese Chancen also nicht verpassen wollen, sollten wir an einer globalisierten Welt festhalten, nicht nur, aber auch in unserem eigenen Interesse.

 

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

Themen im Artikel

Infos über Quirin Privatbank AG

    Quirin Privatbank AG:

    Die Quirin Privatbank AG wurde 2006 als erste Honorarberaterbank in Deutschland gegründet – mit der Mission, die Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Die Bank ist Spezialist für professionelle, individuelle Vermögensverwaltung und einen langfristigen Vermögensaufbau.

    ...

    Disclaimer & Risikohinweis

    Quirin Privatbank AG News

    Weitere Trading News