Steigende Zinsen gleich fallende Märkte?
Es erscheint im Nachhinein als mehr oder weniger zwangsläufig, obwohl es das gar nicht gewesen ist.
Nach einem Fußballspiel wusste man zum Beispiel, dass die Mannschaft in dieser Aufstellung nur verlieren konnte. Und nach einer Wahl wusste man einfach, dass ein bestimmter Kandidat bzw. eine bestimmte Kandidatin das Rennen machen musste.
Das Phänomen tritt in vielen Lebensbereichen auf. Auch und gerade rund um die Geldanlage an den Aktienmärkten. Im Rückblick erscheint es etwa oft zwingend, dass die Kurse in einem bestimmten Zeitraum gestiegen oder gefallen sind.
Erhebliche Zweifel an solchem „Wissen“ sind angebracht. Hinterher ist man immer schlauer. In der Psychologie ist das längst auf den Begriff gebracht worden und trägt den Namen „Rückschaufehler“.
Ist ein Ereignis oder ein Verlauf eingetreten, wird dessen Vorhersehbarkeit im Nachhinein überschätzt. Diese Neigung ist in der menschlichen Psyche angelegt.
Gute Gründe finden sich schon
Dabei zeigen sie sich in den Erklärungen bisweilen recht flexibel. Das lässt sich aktuell ganz gut an der Berichterstattung zu den Marktreaktionen auf Leitzinserhöhungen beobachten.
Der Zins steigt und der Aktienmarkt fällt: Logisch, heißt es, denn Zinspapiere machen Aktien nun mehr Konkurrenz und die Finanzierung für Unternehmen teurer.
Der Zins steigt und der Aktienmarkt steigt auch: Ebenfalls nachvollziehbar, so der Tenor, offenbar ist aus Sicht der Marktteilnehmer das Ende der Zinserhöhungen etwas näher gerückt.
Kursentwicklungen lassen immer Spielraum für Interpretationen. Die Konjunktur läuft rund? Das kann ein „guter Grund“ für steigende Kurse sein. Steigen sie wirklich, kann man auf volle Auftragsbücher und saftige Gewinne verweisen, die damit einhergehen.
Wenn die Notierungen sinken, ist man um eine Erklärung dennoch nicht verlegen. Dann stand für die Akteure zum Beispiel die Sorge um die Inflation im Vordergrund. Etwas ist passiert, und man findet im Nachhinein schon Argumente, warum es so kommen musste.
Dabei war das Eintreten des Ereignisses höchst unsicher und hätte ganz anders ausfallen können.
Worauf ich hinauswill: Was scheinbar einfach erklärt werden kann, ist noch lange nicht vorhersehbar. Bei Prognosen am Kapitalmarkt sind ganz generell Zweifel angebracht.
In den vielen Jahren, in denen ich mich nun schon mit den Aktienmärkten beschäftige, gab es eigentlich zu jedem Zeitpunkt die unterschiedlichsten Szenarien. Es gibt immer die Schwarzmaler, die düstere Wolken am Horizont erkennen.
Selbst in Boomphasen gibt es Entwicklungen, die Besorgnis erregen. Und auch in Krisen gibt es nachvollziehbare Argumente, die für wieder steigende Kurse sprechen.
Kurzum: In jeder Marktphase gibt es Gründe für steigende wie für fallende Kurse.
Wie aber wäge ich ab, ob ich den „7 Gründen für steigende Kurse“ eines Börsenmagazins Glauben schenke – oder der Warnung vor der Korrektur, die kurz später an anderer Stelle ausgesprochen wird?
Von der Spekulation zum Fehlschluss
Zum echten Problem werden die Spekulationen, wenn suggeriert wird, man könne – ja solle – sie zur Grundlage einer Anlagestrategie machen. Wegen der vielen teilweise widersprüchlichen Meinungen winken manche entnervt ab und wenden sich dem Kapitalmarkt erst gar nicht zu.
„Zu kompliziert, zu risikoreich“: Diese Gründe für Desinteresse an der Geldanlage haben wir in einer gemeinsamen Umfrage von quirion und comdirect über digitale Vermögensverwaltung gerade wieder häufig zu hören bekommen.
Es gibt aber auch die andere Reaktion. Ausgestattet mit Prognosen von Experten, „Geheimtipps“ ihrer Lieblingsmedien oder Rankings von Anlageprodukten sind manche sicher, die Geldanlage am besten selbst steuern zu können.
Das vermeintliche Wissen führt zu einem übersteigerten Selbstvertrauen. Die Psychologie hat dafür ebenfalls einen Begriff, nämlich „Overconfidence“.
Besonders einprägsam sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse von Studien, die weltweit darüber angestellt wurden, wie sich Autofahrerinnen und Autofahrer selbst beurteilen. Befragt, ob sie ihre Fahrkünste eher als über- oder als unterdurchschnittlich bewerten, hält sich die große Mehrheit meist für überdurchschnittlich. In einer kanadischen Studie glaubten das sogar 100 Prozent der Befragten.
Im Durchschnitt erreichten die Teilnehmenden eine Bewertung von 10,7 Punkten. Das liegt gerade einmal knapp über der Hälfte der erreichbaren Punktzahl von 20. Also ein eher mäßiges Urteil über die Güte der Finanzbildung.
Spitzenwerte wurden dagegen beim Selbstvertrauen erreicht. Rund 80 Prozent der Befragten schätzten die eigene Finanzbildung als „sehr gut“ bis „eher gut“ ein.
Wissen für die Geldanlage
Finanzbildung ist ein gesellschaftlich enorm wichtiges Thema. Dazu gehört, einschätzen zu können, was man bei der Geldanlage wissen kann – und was nicht. Was man weiß: Anlageerfolg hat nichts mit vermeintlich exklusiven Erkenntnissen über die künftige Entwicklung der Kapitalmärkte zu tun.
Solche Kenntnisse hat niemand. Wer sich auf Prognosen verlässt, der spekuliert. Wir sagen das an dieser Stelle öfter. Aber man kann es gar nicht oft genug sagen. Denn es widerspricht einer üblichen Denkgewohnheit, die von vielen in der Finanzbranche durchaus gezielt ausgenutzt wird.
Eine wichtige Einsicht über den Aktienmarkt lässt sich dagegen mit einem Blick auf die folgende Grafik verdeutlichen.
Der Trend ist klar. Beständig ging es aufwärts. Das ist kein Zufall, denn die Richtung wird langfristig vom wirtschaftlichen Wachstum bestimmt.
Jedenfalls dann nicht, wenn man global denkt und sich nicht auf eine bestimmte Region beschränkt. Das ist eine weitere wichtige Einsicht, die uns die Kapitalmarktforschung seit vielen Jahren näherbringt: Wenn man weltweit streut, lässt sich das Verhältnis von Renditechancen und Risiken optimieren.
Darauf sollte man sein Augenmerk legen, wie unsere Spezialisten das mit ihrem Know-how für unsere Kundinnen und Kunden täglich tun. Denn systematische Geldanlage bedeutet, dem Markt möglichst genau zu folgen – statt sich im Voraus auf etwas festzulegen, was sich eben erst im Nachhinein feststellen lässt.
Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion
Themen im Artikel
Infos über Quirin Privatbank AG
Die Quirin Privatbank AG wurde 2006 als erste Honorarberaterbank in Deutschland gegründet – mit der Mission, die Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Die Bank ist Spezialist für professionelle, individuelle Vermögensverwaltung und einen langfristigen Vermögensaufbau.
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