Aktien-Amerika ist wieder da und der DAX bald weg?
Auf den ersten Blick sprechen die Zustände in Amerika wenig für US-Aktien. Das Zollthema raubt der Wirtschaft Kraft, der schwache Dollar verursacht Währungsverluste für globale Anleger, die Verschuldung ist abenteuerlich, die Inflation droht mit ihrer hässlichen Fratze und die politischen Umstände in Washington kosten Reputation.
Das alles stört Wall Street nicht.
Im Gegenteil, zuletzt glänzte sie wieder.
Geht das zulasten der Strahlkraft deutscher Aktien?
Auch in Amerika haben Münzen zwei Seiten
In der Tat, nach den Tiefständen im April ist die Performance amerikanischer Aktien beeindruckend. Während der S&P 500 fast 30 Prozent zulegen konnte, waren es beim Nasdaq 100-Index deutlich über 35.
Sind die US-Börsen aufgrund der Risiken zu übermütig? Kommt das dicke Ende noch?
Offensichtlich hat das Zoll-Minenfeld seinen Schrecken verloren, obwohl Präsident Trump bereits blaue Drohbriefe verschickt, indem für eine Vielzahl von Ländern zukünftige Zölle benannt werden.
Allerdings gehen die Anleger davon aus, dass Trump aus den Folgen des Liberation Day gelernt hat, als in den USA Börsenkurse massiv fielen, Unternehmen und Verbraucher zollirritiert waren und Trumps Stern bei seinen Landsleuten deutlich an Leuchtkraft verlor. Und so will Trump die neuen Zölle erst ab 1. August in Kraft treten lassen, was de facto mehr Verhandlungszeit bedeutet.
Die finalen US-Zölle gegen die Welt werden zwar grundsätzlich deutlich höher liegen als zu Beginn von Trumps Amtszeit. Ansonsten wäre der Gesichtsverlust von Trump zu groß. Dennoch scheint die US-Wirtschaft mit weniger schlimmen Importzöllen leben zu können. Die Frühindikatoren haben sich zuletzt stabilisiert und der Arbeitsmarkt ist robust.
Aber ist das nur die Ruhe vor dem Wirtschafts-Sturm, bis die gebunkerten Vorräte der Firmen aufgebraucht sind und die Zölle voll durchschlagen? Die Börse schaut lieber auf die kompensierenden Effekte. Durch das neue Haushaltsgesetz wird der Bau neuer Werke und die Modernisierung bestehender Anlagen attraktiver. Das Wachstum wird ebenso durch höhere Verteidigungsausgaben gefördert.
Hinzu kommt der schwache Dollar, der US-Unternehmen gegenüber Konkurrenten wettbewerbsfähiger macht.
Fundamental kommt das in den letzten Wochen auch ihren Aktien zugute, die deutlich abhängiger von einheimischen als ausländischen Investoren sind. Währungsverluste spielen also nicht die entscheidende Rolle.
Zur Wahrung eigener Wirtschaftsinteressen und um Trump entgegenzukommen, verzichtet zudem die Rest-Welt auf harte Vergeltungsmaßnahmen. So plant die EU keine Digitalsteuern auf US-social media-Giganten, nimmt Abstand von Mindeststeuern für US-Konzerne und wird sich an keinen anti-amerikanischen Wirtschaftspraktiken der BRICS-Staaten beteiligen.
Ohne Zweifel sorgt die galoppierende Verschuldung in den USA für Sorgenfalten. Und mit dem „neuen wunderschönen“ Haushaltsgesetz – das „Nach mir die Sintflut“ heißen sollte – werden sie noch tiefer. Das Haushaltsdefizit wird sich auch zukünftig weiter zwischen sechs bis sieben Prozent bewegen, obwohl Trump doch die Regierungseffizienz steigern will. Ebenso wird die Schuldenobergrenze um 5 Bill. Dollar angehoben. Alles andere als die Nutzung dieser weiteren umfangreichen Verschuldungsmöglichkeit wäre ein neues Weltwunder.
Im Vergleich zu uns haben die Amerikaner ein anderes Verständnis von Schulden. Für sie sind neue Schulden der Highway, auf dem die Wirtschaft reibungslos fahren, d.h. wachsen kann. Erst wenn der Anleihemarkt kippt und die Schuldentragfähigkeit sinkt, wird echte Haushaltsdisziplin zum Thema. Zuletzt zeigte sich der US-Rentenmarkt aber entspannt. Die Weltleitwährung Dollar gibt Amerika offensichtlich immer noch Feuerschutz.
Auch die aktuellen Zölle von etwa 20 Mrd. Dollar pro Monat lassen den US-Finanzminister aufatmen. Und wenn Milliardenbeträge in US-Staatsanleihen fließen, um Stablecoins zu decken, sinkt auch sein Zwang, neue Käufer für amerikanische Schuldenpapiere finden zu müssen.
Und die Inflation?
Immerhin, eine nicht auf allen Zylindern laufende Wirtschaft mäßigt den Preisauftrieb. Auch von der Rohstoffseite droht kein inflationäres Ungemach. OPEC+ hat sich auf die Rücknahme von Produktionskürzungen und Ausweitungen geeinigt. Für die geopolitische Aufwertung Saudi-Arabiens war dies wohl die Gegenleistung an Trump. Ebenso wirkt US-Fracking als Drohkulisse. Auch macht sich die vergleichsweise ruhige Lage im Nahen Osten positiv bemerkbar.
Zinssenkungen der Fed sind daher nicht vom Tisch, sondern ab September auf dem Tisch.
Das insgesamt entspannte Zins- und Renditeumfeld kommt den Technologieaktien zugute, die als besonders zinssensitiv gelten. Aber auch aufgrund ihrer Sonderkonjunktur bleiben sie der Taktgeben am US-Aktienmarkt. Wenn sich ihre Geschäftsergebnisse und Prognosen, die in den nächsten Tagen und Wochen zur Veröffentlichung anstehen, als solide erweisen, steht einem weiteren Aufwärtstrend wenig im Wege.
Tatsächlich darf man US-Aktien niemals abschreiben.
Fallen deutsche Aktien gegenüber amerikanischen zurück?
Zuletzt zeigte sich der DAX im Vergleich zu US-Indices weniger dynamisch. Die noch offene Zollentscheidung und der starke Euro sorgten für Zurückhaltung. Wenden sich die Anleger also wieder verstärkt US-Aktien zu und von deutschen ab?
Zunächst, die starke Gemeinschaftswährung erlaubt der EZB über schwache importierte Inflation weitere Zinslockerungen. Und vergleichsweise verträgliche Zoll-Deals würden auch ein besonders scharfes Damoklesschwert über Europa entfernen. Nicht zuletzt wird etwas für die Standortverbesserung getan, was konjunkturabhängigen Aktien vor allem der zweiten Reihe guttut.
Damit lautet die strategische Anleger-Botschaft nicht entweder oder, sondern High-Tech in Amerika, Zykliker in Deutschland.
Natürlich werden Donald Trump oder auch Parteigründer Elon Musk die Finanzwelt weiterhin mit ihren Auftritten entzücken. Und im Sommerloch könnten Anleger zunächst abwarten, wie sich die Gemengelage entwickelt. Auch sind mehr Schwankungen drin.
Insgesamt aber sind die Chance auf ein fortgesetzt gutes Aktienjahr 2025 größer als das Risiko eines deutlichen Einbruchs.
S&P 500 Index Chart
Disclaimer & Risikohinweis
Themen im Artikel
Infos über Baader Bank
Die Baader Bank ist eine der führenden familiengeführten Investmentbanken im deutschsprachigen Raum und bezeichnet sich selbst als „Die Bank zum Kapitalmarkt“. Als Vollbank ist sie in den Geschäftsfeldern Market Making, Capital Markets, Multi Asset Brokerage, Asset Management Servi...