Kapitalmarkt Vietnam: dynamisches Wachstum trotz Handelskonflikten und US-Zöllen
Vietnam gehört zu den dynamischsten Schwellenländern weltweit. In den letzten zehn Jahren wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – mit Ausnahme der Coronajahre 2020 und 2021 –stets um mehr als 5 %. Selbst in der Pandemie konnte das Land weiter positive Wachstumsraten aufweisen, während die meisten Volkswirtschaften deutliche Rückgänge verbuchen mussten. 2024 legte das vietnamesische BIP um beeindruckende 7,1 % gg. Vj. zu. Gestützt wird das Wachstum durch wirtschaftsfreundliche Reformen, eine junge und steigende Bevölkerungszahl sowie die zunehmende Integration in regionale und globale Lieferketten.
Nachdem die erste Trump-Regierung 2018 einen Handelskrieg mit China begonnen hatte, konnte sich Vietnam als attraktiver Produktionsstandort im Rahmen der „Chinaplus-Eins-Strategie“ westlicher Länder etablieren. Das Land gilt als einer der größten Profiteure des US-chinesischen Handelsstreits und zieht robuste ausländische Direktinvestitionen an.
Der diversifizierte und exportorientierte Fertigungssektor trägt maßgeblich zum vietnamesischen BIP-Wachstum bei.
Perspektivisch dürfte Vietnam zwar eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften im asiatischen Raum bleiben, allerdings wird das Land mit einigem Gegenwind konfrontiert sein. US-Präsident Trumps protektionistische Handelspolitik und die neu eingeführten Zölle stellen ein Risiko für das Wachstum dar, denn die vietnamesische Wirtschaft ist in hohem Maße von Exporten abhängig. Im vergangenen Jahr machten Ausfuhren 83 % des vietnamesischen BIPs aus. Damit ist Vietnam besonders anfällig für Handelskonflikte, was auch im regionalen Vergleich sichtbar wird.
Die USA sind nach China der zweitgrößte Handelspartner Vietnams und stehen bei den Exporten sogar an erster Stelle. Etwa ein Drittel der Gesamtexporte ist für den US-Markt bestimmt. Dementsprechend eilig hatte es die Regierung um Ministerpräsident Pham und man begab sich als eines der ersten Länder in bilaterale Verhandlungen mit den USA. Seit Anfang August fällt demnach für die meisten vietnamesischen Exporte in die USA ein Zollsatz in Höhe von 20 % an.
Waren, die aus Drittländern über ein anderes Land in die USA eingeführt werden (sogenanntes Transshipping) unterliegen sogar einem zusätzlichen Umschlagszoll von 40 %. Damit will die Trump-Regierung verhindern, dass Güter – vor allem aus China –über Länder mit niedrigerem Zollsatz als das Ursprungsland in die USA gelangen.
US-Produkte können im Rahmen des Abkommens zollfrei nach Vietnam eingeführt werden.
Insgesamt ist die Belastung für Vietnam damit niedriger als die ursprünglich am Liberation Day im April angedrohten 46 % – damals einer der höchsten Zollsätze weltweit, was die Sorgen um das vietnamesische Wachstum befeuerte.
In der ersten Hälfte des laufenden Jahres wies Vietnam eine dynamische Exporttätigkeit auf.
Besonders bei den Ausfuhren in die USA lässt sich ein steiler Anstieg beobachten, während der Handel mit dem zweitwichtigsten Exportmarkt China keinen merklichen Schub erfahren hat. Dies dürfte vor allen auf Vorzieheffekte zur Umgehung der US-Zölle zurückzuführen sein. Insgesamt ist für die zweite Jahreshälfte und das kommende Jahr mit einer Verlangsamung zu rechnen. Das Wachstumsziel der vietnamesischen Regierung für 2025 wurde auf 8,3 bis 8,5 % beziffert –ein Wert, der bereits vor Inkrafttreten der US-Zölle höchst ambitioniert anmutete.
Realistischer erscheinen uns die Schätzung von Weltbank und IWF, die für 2025 ein Plus von 6,6 % bzw. 6,5 % gg. Vj. prognostizieren. Für das kommende Jahr rechnet die Weltbank mit einer Abschwächung auf 6,1 %, während sich der IWF mit einer Projektion von 5,6 % etwas pessimistischer zeigt.
Die Wachstumsaussichten sind derweil mit großer Unsicherheit behaftet, vor allem in Bezug auf den vietnamesischen Handel im Zusammenhang mit den eingangs erwähnten Umschlagsprodukten aus Drittländern.
Eine eindeutige Definition, wann Exporte als Transshipments gelten und entsprechend der zusätzliche Umschlagszoll von 40 % zum Tragen kommt, liegt bislang nicht vor. Vietnam ist in hohem Maße von chinesischen Vorleistungsgütern und Rohstoffimporten abhängig. Dies wirft Fragen für vietnamesische Produzenten und Exporteure auf, da nicht klar ist, ab welchem chinesischen Komponentenanteil ein Produkt als Re-Export gilt.
Mittelfristig sollte Vietnam seine Lieferketten für die Beschaffung daher weiter diversifizieren.
Vietnam wird aufgrund seiner gut entwickelten Produktionsinfrastruktur, seines niedrigen Lohnniveaus bei gleichzeitig gut ausgebildeten Arbeitskräften und politischer Stabilität weiter Direktinvestitionen anziehen.
Gleichzeitig liegt Vietnam mit seinem US-Zollsatz von 20 % nur einen Prozentpunkt über den Zöllen anderer Länder in der Region, sodass hier praktisch keine Konkurrenz auf der Exportebene oder Produktionsverlagerungen drohen.
Sollte sich eine deutliche Verlangsamung des Wachstums abzeichnen, hat der Staat zudem Spielraum für fiskalische Unterstützungsmaßnahmen.
Das Haushaltsdefizit summierte sich 2024 auf 1,9 % des BIP und die Staatsverschuldung liegt mit knapp 36 % des BIP deutlich unter dem Mittelwert Südostasiens (66 %).
Die Regierung wird daher den wichtigsten politischen Trend der wirtschaftlichen Liberalisierung weiter vorantreiben und kann so dem Gegenwind durch den Handel mit einem großen Infrastrukturschub und umfassender Investitionstätigkeit begegnen.
Zu den wichtigsten geplanten Projekten gehört der Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn vom Norden in den Süden des Landes.
Gleichzeitig etabliert sich Vietnam mit Investitionsvorhaben in der Halbleiterherstellung weiter in der globalen Chipindustrie.
Ein großer Vorteil Vietnams ist darüber hinaus seine Mitgliedschaft in zahlreichen bi-und multilateralen Handelsabkommen auf regionaler und globaler Ebene.
Vor allem die Zusammenarbeit und die Handelsbeziehungen mit den anderen Ländern in der ASEAN-Gemeinschaft dürfte sich in Reaktion auf die US-Zölle intensivieren.
Entsprechende Verhandlungen wurden bereits beim ASEAN-Gipfel im Mai dieses Jahres abgeschlossen.
Im Juni erhielt Vietnam zudem formell den Status eines Partnerlandes innerhalb der BRICS-Staaten – ein wichtiger Schritt, die globale Integration des Landes durch diversifizierte wirtschaftliche Partnerschaften und verstärkte multilaterale Ausrichtung voranzutreiben.
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