Anlagestrategien: Auf unterschiedliche Einflußfaktoren richtig reagieren

Quirin Privatbank: Die aktuellen Wirtschaftsaussichten sind derzeit alles andere als rosig.

Mittlerweile dürfte klar sein, dass Deutschland (aber auch Europa) nicht mehr an einer Rezession vorbeikommen wird, d. h. einen Rückgang der Wirtschaftsleistung über mindestens zwei Quartale hinweg verkraften muss.

 

 

Auch an der Inflationsfront stehen uns offenbar weiterhin schwere Zeiten bevor, so zumindest die (fast) einhellige Meinung der meisten Wirtschaftsforschungsinstitute.

 

 

Auffallend an den derzeit zirkulierenden Einschätzungen ist, dass auch die mittel- und langfristigen Aussichten in äußert düsteren Farben gemalt werden.

Ein Grund hierfür ist, dass Prognosen zwingend immer auf Grundlage bestimmter Rahmenbedingungen hinsichtlich des wirtschaftlichen Umfeldes, der politischen Situation sowie des technologischen Standes gemacht werden müssen.

Da die weitere Entwicklung dieser Rahmenbedingungen aber – wenn überhaupt – nur äußerst schwer zuverlässig eingeschätzt werden kann, werden sie bei den meisten Wirtschaftsprognosen als konstant unterstellt.

In der kurzfristigen Prognose ist eine solche Vorgehensweise durchaus angebracht, langfristig führt sie aber dazu, dass die aktuellen Entwicklungen auch über einen längeren Zeitraum hinweg einfach in die Zukunft fortgeschrieben, extrapoliert, ja manchmal sogar „überextrapoliert“ werden.

Besonders problematisch ist eine solche Extrapolation, wenn die Zahlen so extrem sind wie aktuell. Man denke nur an die Inflationsrate, die nach einer brandaktuellen ersten vorläufigen Schätzung im Monat September in Deutschland 10% beträgt.

Schlägt man eine (fast) beliebige Zeitung auf, kann man den Eindruck gewinnen, dass es eine ausgemachte Angelegenheit ist, dass die Preissteigerungen über Jahre hinweg fast zweistellig sein werden und die deutsche Volkswirtschaft in einer tiefen und hartnäckigen Rezession versinkt.

Im Gegensatz zur Position in vielen Veröffentlichungen ist dies nach unserer Überzeugung aber alles andere als sicher.

 

 

Wir wollen an der Stelle auf keinen Fall falsch verstanden werden: An der aktuellen kritischen ökonomischen und politischen Lage gibt es nichts zu deuteln. Man denke nur an den Krieg in der Ukraine, die Energiepreisentwicklung, die Lieferkettenproblematik sowie die politische Situation in China und ganz aktuell im Iran.

In jedem dieser Bereiche haben wir es mit äußerst problematischen, ja gefährlichen Konstellationen zu tun – und das nicht nur für die Wirtschaft.

Trotzdem halten wir es für wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, dass eine einfache und längerfristige Fortschreibung der aktuellen Lage (wie die der Inflation oder des Wachstums) unterstellt, dass sich weder an den ökonomischen noch an den technologischen und politischen Rahmenbedingungen etwas verändert.

So verständlich dies angesichts der Tatsache auch ist, dass wir letztlich keine Ahnung haben, wohin uns diese Veränderungen führen werden, sollte man doch berücksichtigen, dass die Annahme von konstanten Rahmenbedingungen eben auch schon eine Prognose darstellt – und sicherlich eine der unwahrscheinlichsten ist.

Denn auch wenn wir die konkrete Zukunft nicht kennen, eines wissen wir: Sie wird anders aussehen als die Gegenwart.

 

Blick auf die Wirtschaft …

Speziell im ökonomischen Bereich ist die Annahme der Konstanz der Rahmenbedingungen äußerst problematisch, denn eine Volkswirtschaft ist ja nichts anderes als ein dynamisches und hochkomplexes System, das geradezu darauf angelegt ist, sich auch an die widrigsten Umstände anpassen zu können.

Nehmen wir die aktuelle Inflation als Beispiel: Wer davon ausgeht, dass die Preisdynamik bei Energie und Lebensmitteln anhält, und daraus folgert, dass die Inflation im nächsten (und womöglich übernächsten) Jahr ähnlich hoch sein wird wie heute, unterstellt gleichzeitig (in der Regel, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen), dass die derzeitigen massiv erhöhten Preise keine Anpassungen und Neuausrichtungen im Wirtschaftsprozess bewirken.

Aber genau solche Anpassungen finden permanent statt, und nicht nur aufgrund hoher Inflation, sondern generell als Reaktionen auf Verschiebungen der relativen Preise.

Speziell in einem marktwirtschaftlichen System freier Märkte (und Personen) sind sie nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und sie werden umso wirksamer, je höher der Druck ist. Und da die Inflation derzeit eben exorbitant hoch ist, ist der Anpassungsdruck auch entsprechend groß.

Ohne nun im Einzelnen identifizieren zu können, wo und wie genau die entsprechenden Anpassungs- und Ausweichkräfte wirksam werden (dazu müsste man das komplexe System Wirtschaft in allen Feinheiten durchschauen, wozu niemand in der Lage ist), lässt sich doch festhalten, dass die Anpassungen durch Einsparungen, durch Steigerung der Effizienz oder aber durch Substitution, d. h. ein Ausweichen auf vergleichbare Produkte, stattfindet.

Dadurch werden natürlich nicht von heute auf morgen alle Probleme gelöst, aber Schritt für Schritt werden dadurch die negativen Auswirkungen einer Inflation so weit wie irgend möglich abgemildert.

Ganz beseitigen lassen sich die Auswirkungen der derzeitigen Inflation aufgrund ihres speziellen Charakters allerdings nicht. Da sie vor allem durch eine drastische Zunahme von Energie- bzw. Agrarrohstoffpreisen ausgelöst wird, führt sie zu einem realen Wohlstandstransfer aus den von der Inflation besonders betroffenen Ländern hin zu den entsprechenden Rohstoffexportländern.

Den damit einhergehenden Verlust an Wohlstand für die deutsche Volkswirtschaft kann die Politik zwar in seiner Wirkung abmildern, indem sie beispielsweise Bevölkerungsgruppen mit geringen Einkommen unterstützt, aber vollständig beseitigen kann sie ihn nicht.

Dieses Eingeständnis gebietet die Redlichkeit und auch die Politik sollte keinen gegenteiligen Eindruck erwecken.

Doch zurück zur eigentlichen Inflationsthematik: Aufgrund diverser Anpassungsprozesse kann man also davon ausgehen, dass die Inflationsraten mittel- und langfristig wieder rückläufig sein werden.

Im Gegensatz zu dem Eindruck, den die Wirtschaftspresse manchmal vermittelt, wird dies aber nicht unmittelbar durch die Geldpolitik der Zentralbank erreicht. Stattdessen ergibt sich das durch Anpassungen der marktwirtschaftlichen Ordnung an die neuen Gegebenheiten.

Die Geldpolitik spielt hierbei aber trotzdem eine zentrale Rolle, denn sie kann und muss dafür sorgen, dass die Inflationserwartungen in diesem Anpassungsprozess nicht aus dem Ruder laufen und so die Anpassungsprozesse zunichtemachen, indem sich z. B. eine Lohn-Preis-Spirale Bahn bricht.

Wie der jüngst zu beobachtende Rückgang der Inflationserwartungen zeigt, scheint dies aktuell auch zu gelingen.

 

 

Allerdings steht die Geldpolitik dabei vor enormen Herausforderungen, denn wir haben es aktuell nicht nur mit einer hohen Inflation zu tun, sondern gleichzeitig mit einer ausgeprägten Wachstumsschwäche.

Leitzinsanhebungen, die wir beispielsweise in den letzten Wochen sowohl in den USA als auch in Europa gesehen haben, beeinflussen die Inflation – neben dem erwähnten Einfluss auf die Inflationserwartungen – vor allem über den Umweg einer Wachstumsdämpfung, d. h. Inflationsbekämpfung ist gleichzeitig „Wachstumsbekämpfung“.

Bei „normaler“ Inflation, die aufgrund hoher Nachfrage, also brummender Konjunktur entsteht, ist das kein Problem.

Aktuell aber, in einer Situation, in der sie vor allem von stockenden Lieferketten und Energie- und Rohstoffpreissteigerungen – also über die Angebotsseite – ausgelöst wird, was ja für sich gesehen schon wachstumsdämpfend wirkt, ergibt sich für die Zentralbanken ein massiver Zielkonflikt.

Dies verleiht dem Szenario sinkender Inflationsraten eine gewisse Plausibilität, das weniger auf die tatsächliche Wachstumsdämpfung abstellt, sondern vor allem auf die erwähnten Erwartungen.

Denn insgesamt kann man wohl davon ausgehen, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Wirtschaftskreislauf über den Zielkonflikt, in dem sich die Zentralbanken weltweit derzeit befinden, durchaus im Klaren sind.

Wenn nun erwartet wird, dass die Notenbanken mit ihrer Politik das Wirtschaftswachstum übermäßig hemmen – und sich womöglich zeitgleich dazu die Lage an den Energiemärkten entspannt –, kann das zugleich dazu führen, dass auch drastisch fallende Inflationsraten erwartet werden.

Und ein solcher Prozess kann dann tatsächlich und u. U. sogar sehr schnell über eine Art umgekehrter Inflationsspirale zu einem so starken Rückgang der Preissteigerungen führen, dass die Volkswirtschaften womöglich sogar wieder in die Gefahrenzone einer Deflation geraten.

Auch wenn ein solches Szenario für die meisten Leserinnen und Leser – und übrigens auch für uns – vermutlich eher unwahrscheinlich klingt, wird es unter Expertinnen und Experten der Geldpolitik doch ernsthaft diskutiert, die eine Überreaktion der internationalen Notenbanken befürchten.

 

 

… auf die Geopolitik …

Auch in der Geopolitik werden derzeit im Grunde stete Rahmenbedingungen unterstellt. Übertragen auf die konkrete Situation bedeutet das, dass man davon ausgeht, dass man mit Russland niemals mehr irgendwelche Beziehungen geschweige denn Wirtschaftsbeziehungen pflegen wird.

Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass Russland unser entfernter Nachbar bleiben wird, denn es ist ja nicht plötzlich von der Landkarte verschwunden.

Irgendwann wird man auch wieder zu einem Modus Vivendi kommen müssen.

Aktuell erscheint allerdings eine Wiederaufnahme von Wirtschaftsbeziehungen mit Russland aus geopolitischen und moralischen Gründen fast ausgeschlossen. Immerhin hat es seinen Nachbarn überfallen, dessen Grenzen es 1991 völkerrechtlich anerkannt hat.

Die Befürchtung, dass dies auch anderen Nachbarn blühen kann, ist durchaus realistisch.

Andererseits ist die Moral von Staaten eine sehr elastische Angelegenheit. Immerhin hat vor wenigen Tagen der Bundeskanzler Deutschlands dem Anführer eines Landes die Hand geschüttelt, in dem immer noch Menschen öffentlich ausgepeitscht und hingerichtet werden und der vor wenigen Jahren offenbar angeordnet hat, einen ihm missliebigen Kritiker zerstückeln zu lassen.

Wir wollen die Geste des deutschen Kanzlers an der Stelle nicht kritisieren. Sie ist Ausdruck von Realpolitik und eine solche wird auch im Verhältnis zu Russland wieder einkehren, auch wenn man sich das aktuell kaum vorstellen kann.

Unwillkürlich kommt einem in diesem Zusammenhang die Bemerkung Charles de Gaulles in den Sinn, wonach Staaten keine Freunde, sondern nur Interessen haben.

Besonders zu hoffen wäre natürlich – auch wenn wie gesagt schwer vorstellbar –, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine zu einem schnellen und vertretbaren Ende kommt.

Selbst das ist schließlich nicht vollkommen ausgeschlossen.

 

… und die technologischen Entwicklungen

Erfahrungsgemäß und vermutlich nicht überraschend sind technologische Entwicklungen am schwersten zu prognostizieren. Es ist sehr lehrreich, sich historische Publikationen anzusehen, in denen der Versuch gemacht wurde, Zukunftstechnologien vorherzusagen.

Hierbei zeigt sich immer wieder, dass die technologischen Zukunftsentwürfe im Grunde immer Fortschreibungen von Entwicklungen sind, die sich in der (damaligen) Gegenwart bereits abgezeichnet hatten.

Wirklich fundamentale technologische Innovationen („Disruptionen“) dagegen wurden (und werden) so gut wie nie erkannt.

Diese Feststellung ist nicht als Vorwurf zu verstehen. Wir sind sogar der Meinung, dass eine Disruption, die vorher als solche erkannt wird, eigentlich keine sein kann.

Man muss es also leider hinnehmen: Wir wissen nicht, was die Zukunft an technologischen Überraschungen bereithält und wie sich dadurch die ökonomischen Rahmenbedingungen verändern werden.

Andererseits wissen wir durchaus, dass in den unterschiedlichsten Bereichen intensiv Forschung betrieben wird, mehr sogar als je zuvor – und zwar sowohl im Grundlagenbereich als auch in der Anwendung.

Schon morgen kann daher aus irgendeinem Labor ein Durchbruch in einem Bereich gemeldet werden, der das Potenzial hat, die Welt zu verändern.

Man denke nur an die Kernfusion, das mittlerweile Jahrzehnte währende und bis dato nicht eingelöste Versprechen von unerschöpflicher und sauberer Energie. Trotz der bisher enttäuschenden Bilanz wird die Forschung daran derzeit sogar wieder intensiviert.

Sollte dieser Ansatz wirklich einmal funktionieren, dann ist die Welt eine andere. Insbesondere die gesamte Energiewirtschaft würde revolutioniert.

Ähnliches gilt für die Energiespeicherung. Auch dieser Bereich ist aktuell eine große Schwachstelle der Energiewirtschaft, denn im Grunde ist ja genug Energie vorhanden, aber eben nicht genau dann und dort, wo sie gerade gebraucht wird.

Ein echter Durchbruch in der Batterietechnik (oder sonstiger Energiespeicherung) würde dieses Problem ein für allemal lösen und damit die Energiewirtschaft ebenfalls auf den Kopf stellen.

 

 

Fazit für Anlegerinnen und Anleger

Keinesfalls wollen wir mit unseren Ausführungen den Eindruck erwecken, wir wüssten, welche der skizierten Entwicklungen eintreten wird, oder auch nur, welche wahrscheinlicher ist als eine andere.

Wir wissen das nicht, und auch niemand sonst kann es wissen, auch wenn von manchen das Gegenteil suggeriert wird.

Stattdessen möchten wir Sie durch den Verweis auf die Vielfalt möglicher Entwicklungen dafür sensibilisieren, wie gefährlich es ist, davon auszugehen, dass die Tendenzen, die sich in den jeweils aktuellen Zahlen andeuten, gewissermaßen unumkehrbar sind.

Derzeit ist diese Warnung vor allem im Bereich der Inflationsentwicklung besonders angebracht. Viele sind der Meinung, dass man aktuell angesichts der „glasklar“ immer weiter steigenden Inflation Anlagestrategien braucht, die „verlässlich“ vor Inflation schützen.

Entsprechende Anlagestrategien und Empfehlungen haben derzeit Hochkonjunktur und bestärken diese Überzeugung.

Aber: Anlagestrategien, die auf ein bestimmtes Szenario hin ausgerichtet sind, sind hochgefährlich, da mit ihnen zwangsläufig immer bestimmte „Klumpenrisiken“ verbunden sind.

Risiken, die zum einen daraus resultieren, dass das jeweils angenommene Szenario ja nicht sicher ist, und zum anderen aber auch daraus, dass es alles andere als ausgemacht ist, dass die jeweils empfohlenen Anlagen sich so verhalten wie gedacht – selbst im Falle des Eintritts des zugrundeliegenden Szenarios.

Letztlich ist es nach unserer Überzeugung weder ausgemacht, dass das derzeit mehr oder weniger als sicher unterstellte Zukunftsszenario einer über Jahre hinweg weiter hohen Inflation eintritt, noch ist gewährleistet, dass die darauf abgestellten „inflationsschützenden“ Anlageideen eine positive Entwicklung nehmen.

Aus jeder möglichen Richtung können bisher unberücksichtigte Einflussfaktoren auftauchen, die alle extrapolierenden Schätzungen – insbesondere Inflations- und Wachstumsprognosen – über den Haufen werfen und zu einem gegenteiligen Verlauf führen.

Wer also jetzt mit fokussierten Anlageideen hektisch reagiert, geht im Grunde ein noch höheres Risiko ein, als ohnehin immer vorhanden ist. Mehr denn je bleibt auch – nein: gerade! – in der derzeitigen Lage ein global und wissenschaftlich diversifiziertes Portfolio das A und O jeder vernünftigen Anlagestrategie.

Mit einer möglichst exakten Anlehnung des Investments an die globale Verteilung des Aktienkapitals sind Sie bestmöglich aufgestellt, um von einer künftigen Erholung zu profitieren.

Wohlverstande Diversifizierung ist letztlich die Konsequenz des realistischen Eingeständnisses, dass wir zwar vieles über die Gegenwart und die Vergangenheit wissen, aber so gut wie nichts darüber, wie die konkrete Zukunft aussehen wird.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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    Die Quirin Privatbank AG wurde 2006 als erste Honorarberaterbank in Deutschland gegründet – mit der Mission, die Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Die Bank ist Spezialist für professionelle, individuelle Vermögensverwaltung und einen langfristigen Vermögensaufbau.

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