Löst die Aktienrente das Rentenproblem?

Quirin Privatbank: Es gibt kaum eine gesellschaftliche Herausforderung in unserem Land, über die so viel diskutiert und die zugleich so wenig ernsthaft in Angriff genommen wird wie die Rentenfrage.

Das Problem selbst ist schon lange offenkundig: Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland stehen immer mehr Ältere mit Rentenanspruch immer weniger Erwerbstätigen als Rentenfinanzierende gegenüber, was das Umlagesystem der gesetzlichen Rente bereits jetzt weit überfordert.

Dies wird allein an dem aus Steuern bestrittenen Zuschuss von über 110 Mrd. € deutlich, mit dem der Bund die gesetzliche Rentenversicherung Jahr für Jahr unterstützen muss, damit die Renten bezahlt werden können.

Dabei liegen die wirklich herausfordernden Jahre dieser Problematik sogar noch vor uns, wie folgende Grafik zur aktuellen (Linienverlauf) und für die nächsten 15 Jahre (Balkenverlauf) zu erwartenden demografischen Situation in Deutschland zeigt.

 

 

Erst wenn die aktuell noch in Lohn und Brot stehenden Angehörigen der sogenannten „Baby-Boomer“, d. h. der zwischen 1960 und 1970 Geborenen, nach und nach in den Ruhestand eintreten, wird sich das Problem in seiner ganzen Schärfe zeigen.

Dann muss auch die Rente dieser geburtenstarken Jahrgänge von den noch Erwerbstätigen finanziert werden, die aber um eben jene große Gruppe der „Baby-Boomer“ geschrumpft ist.

Es gibt also keinen Zweifel: Deutschland hat ein Riesen-Rentenproblem, das in seiner ganzen Wucht noch nicht einmal vollständig angekommen ist.

 

 

An der Umstellung des Rentensystems scheiden sich die Geister

Ein schon lange immer wieder präsentierter Lösungsvorschlag besteht nun darin, das System oder zumindest Teile davon von der reinen Umlagefinanzierung auf eine Kapitaldeckung umzustellen, wobei Aktienanlagen hierbei aufgrund ihrer Ertragskraft eine besondere Rolle spielen sollen.

Genau an diesem Vorschlag aber scheiden sich die Geister und es zeigen sich tiefe ideologische Gräben.

Während sich die Befürworterinnen und Befürworter von einer möglichst vollständigen Systemumstellung die Lösung aller Probleme versprechen, sind die Gegnerinnen und Gegner der Meinung, dass das Ganze lediglich ein erneuter Versuch der Finanzbranche ist, der breiten Bevölkerung nun auch noch per staatlich verordnetem Zwang das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Man setze damit die Alterseinkünfte eines ganzen Volkes der Willkür und den Spekulationen der globalen Finanzmärkte aus.

Beide extremen Positionen verhindern dabei leider immer wieder eine lösungsorientierte schrittweise Weiterentwicklung unseres Rentensystems, welche die dargestellten Herausforderungen besser meistern könnte.

Vor allem die kategorische Ablehnung auch nur einzelner Elemente einer Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rente steht einer solchen Weiterentwicklung im Weg.

Ein dabei häufig vorgebrachtes Contra-Argument lautet, dass unabhängig davon, wie man das Rentensystem im Detail auch gestalten mag, das Ganze zwangsläufig immer darauf hinauslaufen muss, dass die Nicht-Erwerbstätigen eines Landes an der Wertschöpfung seiner Erwerbstätigen partizipieren.

Und genau dieser Zusammenhang werde durch das Umlagesystem gut nachvollziehbar unterstützt, wogegen eine Kapitaldeckung – welche einen persönlichen und von der Allgemeinheit losgelösten Anspruch suggeriere – genau das verschleiere.

Oder anders ausgedrückt: An der „Umlage“ (wie auch immer organisiert) von Erwerbstätigen zu Rentnerinnen und Rentnern ändere auch eine Kapitaldeckung nichts, man könne also getrost auch bei der Umlagefinanzierung bleiben.

Selbstverständlich speist sich jeder Konsum eines Nicht-Erwerbstätigen zwangsläufig aus der Wertschöpfung der arbeitenden Bevölkerung. „Von nichts kommt nichts!”

An dieser banalen Erkenntnis führt kein Weg vorbei, egal wie das Rentensystem ausgestaltet wird.

Aufgrund dieser Selbstverständlichkeit aber nun das Umlageverfahren als das einzig vernünftige Rentensystem zu erklären, ist definitiv falsch, denn der eben erläuterte Zusammenhang gilt in dieser Konsequenz nur im Rahmen einer sogenannten „geschlossenen“ Ökonomie, d. h. einer Volkswirtschaft, welche keinerlei außenwirtschaftliche Beziehungen unterhält.

In diesem Falle könnte auch ein Kapitaldeckungsverfahren die Probleme eines bisher umlagefinanzierten Rentensystems nicht lösen, in welchem durch ungünstige demografische Entwicklungen immer mehr Alte ihren Konsum durch den Zugriff auf die Wertschöpfung von immer weniger Erwerbstätigen bestreiten müssen und das deshalb ins Wanken gerät.

 

Die offene Volkwirtschaft …

Von einer geschlossenen Volkswirtschaft sind wir aber meilenweit entfernt. Mit Export- und Importvolumina von 1.379 Mrd. Euro bzw. 1.204 Mrd. Euro im Gesamtjahr 2021 (siehe nachfolgende Grafik) – bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 3.700 Mrd. Euro – sowie einem akkumulierten Netto-Auslandsvermögen von rund 2.800 Mrd. Euro (siehe übernächste Grafik), welches drei Viertel des deutschen BIPs ausmacht, ist Deutschland mit der internationalen Staatengemeinschaft so eng verflochten wie kaum ein anderer großer Industriestaat.

 

 

 

 

Vor diesem Hintergrund würde eine Kapitaldeckung des Rentensystems eben auch bedeuten, die angesparten Gelder nicht nur in deutschen Unternehmen, sondern international anzulegen – idealerweise entsprechend der sogenannten Marktkapitalisierungsgewichtung der einzelnen Länder, Regionen und Branchen.

Im Ergebnis ergäbe sich dadurch ein erheblicher Unterschied zu einem rein auf Deutschland bezogenen Umlageverfahren. Statt nur auf die Wertschöpfung im eigenen Land zuzugreifen, würde ein durch internationale Kapitalanlage (teil-)gedecktes Rentensystem aus der Wertschöpfung der Erwerbstätigen der ganzen Welt Kapitalerträge beziehen.

Insbesondere könnte dadurch den Konsequenzen der ungünstigen demografischen Entwicklung Deutschlands für die Rentenfinanzierung die Schärfe genommen werden.

Denn die Einbeziehung der Ertragskraft einer Vielzahl von Ländern würde zugleich indirekt auch deren häufig günstigere demografische Situation zu uns ins Land holen.

 

 

… sowie ihre konkrete Gestaltung machen den Unterschied

Hinzu kommt noch ein weiteres Argument: Die konkrete Gestaltung eines Rentensystems hat erheblichen Einfluss darauf, wie groß die Wertschöpfung der Erwerbstätigen letztlich ausfällt, von der dann auch die Rentenbeziehenden leben.

Ein Kapitaldeckungsverfahren, das dazu führt, dass jede Einzelne bzw. jeder Einzelne so viel spart wie ihr oder ihm nur möglich, würde letztlich auch zu höheren volkswirtschaftlichen Investitionen führen.

Im Falle eines Landes wie Deutschland mit seinen fast schon traditionellen Leistungsbilanzüberschüssen (hauptsächlich aufgrund von Exportüberschüssen) sowie dem entsprechenden Kapitalanlagebedarf würde das vorrangig zu Auslandsinvestitionen führen.

Genau die Erträge aus diesen Auslandsinvestitionen wären dann der Hebel, mit dem unser Rentensystem an der Wertschöpfung anderer Länder partizipieren könnte; der wirtschaftliche Kuchen, von dem sowohl Rentenbeziehende als auch Erwerbstätige letztlich leben müssen, würde sich dadurch vergrößern.

Die Einbindung von Kapitaldeckung in die gesetzliche Rente könnte so zur Abmilderung der eingangs geschilderten Herausforderungen beitragen. Hierfür muss und sollte dabei gar nicht auf das Umlageverfahren verzichtet werden, das nicht zuletzt aufgrund seiner stabilisierenden Wirkung – etwa bei Kapitalmarktturbulenzen – auch seine Vorzüge hat.

Damit die positiven Effekte einer verstärkten Kapitaldeckung unserer Altersvorsorge insgesamt wirklich umfassend greifen können, brauchen wir aber vor allem endlich ein System, welches vor allem den Jungen einen echten Anreiz bietet, durch eine möglichst früh einsetzende Sparleistung ihre Altersversorgung ergänzend zur – im Idealfall auch schon durch eine Aktienkomponente ergänzten – gesetzlichen Rente auch in die eigene Hand zu nehmen.

Der Wille hierzu ist vorhanden, wie uns die Vielzahl von ETF-Sparplänen zeigt, die derzeit vor allem von dieser Bevölkerungsgruppe eingerichtet werden. Was jedoch noch fehlt und dringend vonnöten wäre, ist eine unkomplizierte und wirksame staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge ohne große administrative Hürden und vor allem Kosten (siehe den Misserfolg von „Riester-“ und „Rürup-Rente“). Auch wir haben der Politik hierzu bereits einen konkreten Vorschlag unterbreitet.

Als Fazit lässt sich festhalten: Eine internationale Kapitaldeckung wird nicht alle Probleme lösen – insbesondere nicht kurzfristig und auch nicht das Problem der Baby-Boomer. Sie kann langfristig aber entscheidend zur Tragfähigkeit des deutschen Rentensystems beitragen.

Diese Erkenntnis sollte bei der öffentlichen Diskussion im Vordergrund stehen.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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