Wahlfieber und angeschlagene Konjunktur in den USA – wankt die wichtigste Wirtschaftsnation?

Quirin Privatbank: Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von knapp 23 Bio. US-Dollar sind die USA nach wie vor das absolute Zugpferd der globalen Wirtschaft – und was an der Börse in der Wall Street geschieht, besitzt vielfach Leitfunktion für die übrigen Kapitalmärkte.

Kein Wunder also, dass sich derzeit viele bange Blicke nach Übersee richten.

Dort wurde in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch im Rahmen der traditionellen Zwischenwahlen (Midterms) der US-Kongress, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus, großteils neu gewählt.

In beiden Kammern hatten in der ersten Hälfte von Joe Bidens Amtszeit die Demokraten knapp die Nase vorn und der prognostizierte Schwenk in Richtung Republikaner bereitete im Vorfeld vielen Anlegerinnen und Anlegern Kopfzerbrechen – angesichts des nicht ganz unwahrscheinlichen parteilichen Gezerres, das daraus entstehen und wichtige politische Vorhaben lähmen könnte.

 

Börsen im Umfeld von Zwischenwahlen

Der von vielen befürchtete Durchmarsch der Republikaner hat letztlich nicht stattgefunden. Trotzdem sind die politischen Strukturen in den USA nach unserer Einschätzung fragiler geworden, denn man muss Stand heute davon ausgehen, dass zumindest eine der beiden Kammern an die Republikaner geht

Nun möchten wir an dieser Stelle aber gar nicht spekulieren, was diese Gemengelage denn nun mit Blick auf die Kapitalmärkte bedeuten könnte. Schließlich sind die Auswirkungen politischer Geschehnisse in aller Regel viel geringer als oft befürchtet – vor allem wenn es um Wahlen geht.

Gravierende geopolitische Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine stellen natürlich eine Ausnahme dar.

 

 

Auch wenn die Politik immer wieder Entscheidungen trifft, die auch die Wirtschaft tangieren, nehmen die Börsen Wahlergebnisse in der Regel sehr unaufgeregt zur Kenntnis, was auch auf die Ergebnisse der Midterms zutrifft.

Speziell die Zwischenwahlen werden seit jeher von politischen Unsicherheiten begleitet. Beinahe traditionell wird die Partei des amtierenden US-Präsidenten bei diesen Abstimmungen von den Wählerinnen und Wählern abgestraft.

Eine interessante Auswertung des US-Bankhauses U.S. Bancorp, über die auch das Manager Magazin und Börse online berichteten, zeigt allerdings, dass das im Nachgang bislang nicht für Aufruhr an den Börsen gesorgt hat.

Ausgewertet wurde die Wertwicklung des S&P 500 Index in den 12 Monaten nach den alle zwei Jahre abgehaltenen Midterms seit 1960. Hier ergab sich (bis 2018) im Schnitt sogar eine deutlich überdurchschnittliche Performance von im Mittel 16,3%.

Im Vorfeld von Zwischenwahlen ergab sich übrigens über ein Jahr gesehen lediglich ein durchschnittliches Plus von 0,3%.

 

 

Selbstverständlich lässt sich aus diesen Entwicklungen, trotz ihrer augenscheinlichen Eindeutigkeit, keinesfalls eine stichhaltige Prognose für die künftige Kursentwicklung ableiten – dafür sind Börsenkurse einfach von zu vielen Faktoren abhängig.

Vielmehr soll die Auswertung verdeutlichen, dass missliche Wahlergebnisse nicht zwangsläufig zu Kursabschlägen führen.

Viel wichtiger für die Aktienmärkte ist ohnehin die wirtschaftliche Entwicklung, die sich letztlich oft unabhängig von politischen Entscheidungen ergibt.

Von daher möchten wir an dieser Stelle den entsprechenden Status quo beleuchten.

 

US-Wirtschaft im Bann von Inflation und steigenden Zinsen

Auch die US-Wirtschaft leidet unter der anhaltenden Lieferkettenproblematik gepaart mit einer hohen Inflation.

Legt man die übliche Definition zugrunde, sind die USA bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 in eine Rezession gerutscht.

Das bedeutet eine Schrumpfung der realen Wirtschaftsleistung (nach Abzug der Inflation) über zwei Quartale hinweg, jeweils im Vergleich zum vorhergehenden Quartal.

Dabei rechnen die Amerikaner traditionell das prozentuale Quartalswachstum auf das Gesamtjahr hoch. Beispiel: Die Schrumpfung im zweiten Quartal 2022 um rund 0,15% wurde (multipliziert mit vier) auf 0,6% hochgerechnet.

 

 

Ein für wirtschaftliche Schwächephasen untypisch robuster Arbeitsmarkt, der den privaten Konsum stützte, trug aber dazu bei, dass diese Entwicklung bereits im dritten Quartal mit einem Plus von 2,6% vorerst gestoppt werden konnte.

 

 

Auch die Tatsache, dass viele Amerikaner pandemiebedingt noch über relativ hohe Ersparnisse verfügen, stützte den durch die hohe Inflation gebeutelten Konsum.

Die aktuelle Wirtschaftserholung ist allerdings aus unserer Sicht etwas trügerisch. Das Wachstum ist zuletzt zunehmend durch den starken Dollar beflügelt worden, der den (negativen) Außenbeitrag zum Wachstum (Exporterlöse minus Importaufwendungen) in positiver Weise beeinflusst.

Die traditionell stark auf Importe fokussierte US-Wirtschaft profitiert derzeit davon, dass für in Fremdwährung importierte Güter und Dienstleistungen wertmäßig weniger Dollar aufgewendet werden müssen.

Währungseffekte sind aber relativ flüchtig, das heißt, der Wind kann hier auch schnell wieder drehen.

 

 

Zudem dürfte sich die zunehmend restriktive Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve (kurz: Fed) in den nächsten Quartalen noch einmal verstärkt auswirken.

Die Fed stemmt sich mit relativ starken Zinserhöhungen und auch mit der Drosslung der großvolumigen Anleiheaufkäufe um rund 100 Mrd. US-Dollar pro Monat, was tendenziell ebenfalls zu einem höheren Zinsniveau führt, gegen die hohe Inflation.

Die Drosselung der Anleihekäufe bewirkt auch eine Schrumpfung der über die Jahre stark aufgeblähten Bilanz der US-Notenbank.

 

 

Da sich auf diese Weise auch Kreditkonditionen verteuern, ist sowohl mit einer rückläufigen Investitionsneigung der Unternehmen zu rechnen als auch mit geringeren Konsumausgaben, preisdämpfende Effekte inklusive. Dies alles dämpft aber letztlich auch die Wirtschaft.

Dazu kommt, dass sich eine rückläufige Investitionsneigung in vielen wichtigen Bereichen, wie z. B. den Ausrüstungsinvestitionen, üblicherweise erst mit einer gewissen Zeitverzögerung bemerkbar macht.

Aktuell ist es zunächst vor allem im Wohnungsbau zu einer entsprechenden Investitionszurückhaltung gekommen.

Weitere Konjunkturrücksetzer wären also keine Überraschung.

 

Aktuelle Konjunkturprognosen bleiben diffus

Insgesamt bleibt das Konjunkturbild derzeit extrem schwer einschätzbar, was auch die relativ breite Spreizung der Meinungen über das mögliche Ausmaß des Konjunkturdämpfers zeigt.

Während Volkswirtinnen und Volkswirte für dieses Jahr noch vergleichsweise einträchtig mit einem realen US-Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2% rechnen – und damit immerhin keine groben Abweichungen vom langjährigen Schnitt erwarten (rund 2% in den letzten 20 Jahren) –, gehen die Schätzungen für das nächste Jahr relativ weit auseinander: von einer mehr oder weniger markanten Schrumpfung bis hin zu noch spürbaren Wachstumsraten im Bereich von 1%.

Auch die Einschätzungen, ob den USA ab 2024 die Rückkehr auf den üblichen Wachstumspfad gelingt, sind noch sehr heterogen.

 

US-Notenbank vor großer Herausforderung

Viel wird wohl letztlich davon abhängen, wie weit die Fed mit ihren Zinsschritten geht.

Im Moment liegt der Fokus offenbar immer noch klar auf der Inflationsbekämpfung. Zumindest ein weiterer Zinsschritt in Richtung 4,5 bis 4,75% ist also ziemlich wahrscheinlich. Dabei spielt es der Fed in die Karten, dass die Wirtschaft trotz der Belastungsfaktoren noch über relative Stärke verfügt, die sich vor allem in der Arbeitsmarktlage widerspiegelt.

Die jüngste Zinspolitik wirft die Wirtschaft also keineswegs vollends aus der Bahn.

Mit Blick auf die Inflation ist der Notenbank vor allem noch ein Dorn im Auge, dass sich die Teuerung doch recht breit über verschiedenste Wirtschaftsbereiche erstreckt (breiter z. B. als die Euro-Zonen-Inflation, die weiterhin extrem von den Energiepreisen geprägt ist), was sie hartnäckiger erscheinen lässt.

Zwar ist sie seit dem Sommer immerhin von gut 9 auf 7,7% im Oktober zurückgefallen, die Kerninflation, die schwankungsanfällige Komponenten wie Nahrungsmittel und Energie ausschließt, liegt aktuell aber bei einer Jahresveränderungsrate von 6,3%, und damit auf einem Niveau, dass zuletzt vor rund 40 Jahren erreicht wurde.

Zwei positive Aspekte sind aber aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang noch erwähnenswert.

 

 

1. Inflation relativiert sich bei genauerem Hinsehen

Die Fed hält den herkömmlichen Konsumentenpreisindex, der medial die höchste Aufmerksamkeit genießt, nicht für das optimale Inflationsmaß. Sie schaut auch sehr akribisch auf den Preisindex der persönlichen Konsumausgaben (sog. PCE-Deflator).

Dieser lag im September bei 6,2% (Oktober-Wert wird erst Anfang Dezember veröffentlicht), was die herkömmliche Inflation zumindest etwas relativiert.

Der Deflator genießt bei der Fed vor allem deswegen hohes Ansehen, weil hier die relativen Gewichtungen der enthaltenen Produkte und Dienstleistungen monatlich angepasst werden – im Gegensatz zur lediglich zweijährlichen Anpassung bei der gewöhnlichen Inflationsrate. Diese basiert aktuell noch auf dem Konsummuster des von Corona geprägten Jahres 2020.

Das dürfte sich jedoch mittlerweile deutlich geändert haben, was dementsprechend vom PCE-Deflator wesentlich besser reflektiert wird.

Die Orientierung der Fed an diesem Preisindex, der eine etwas moderatere Inflation ausweist, lässt eine Fortsetzung ihrer extrem restriktiven Maßnahmen unwahrscheinlicher werden.

 

 

2. Inflationserwartungen auch in den USA weiter im Zaum

Die Fed zielt mit ihrer Geldpolitik insbesondere darauf ab, die Inflationserwartungen der Bevölkerung im Zaum zu halten, damit sich die hohe Inflation nicht dauerhaft in der Wirtschaft festsetzt (z. B. durch Hamsterkäufe oder eine Lohn-Preis-Spirale).

Ähnlich wie in der Euro-Zone bewegen sich diese Erwartungen, die aus bestimmten Preisen an den Anleihemärkten herausgelesen werden können, auch in den USA noch in einem verträglichen Bereich.

Die Notenbanken achten hier vor allem auf die langfristigen Erwartungen, in der nachfolgenden Grafik also speziell auf die blaue Kurve, die die Erwartungen in Bezug auf die durchschnittliche Inflation im Zeitraum von 2027 bis 2032 widerspiegelt.

 

 

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass auch die jüngsten Daten zur Lohndynamik nicht auf eine Lohn-Preis-Spirale hindeuten.

 

Wie schlagen sich die US-Aktienmärkte in diesem Umfeld?

Die US-Börsen tun sich angesichts der wirtschaftlichen und geldpolitischen Gratwanderungen in diesem Jahr merklich schwer. Seit Jahresbeginn liegt der S&P 500 Index mit rund 21% im Minus.

Kurzfristig gesehen eine schmerzliche Entwicklung (wenngleich das Minus für Euro-Anlegende mit rund 10% deutlich geringer ausfällt).

Längerfristig gesehen wirkt die Korrektur allerdings nicht mehr ganz so eklatant.

 

 

Zuversicht bleibt Trumpf

Folgende Aspekte tragen aktuell zu unserer Zuversicht bei, dass sich der US-Markt nicht in einem nachhaltigen Abwärtstrend, einem sogenannten Bärenmarkt, befindet:
  • Die gesamtwirtschaftlichen Belastungen sind bis dato insgesamt kleiner als in den meisten Rezessionen der Vergangenheit. Die gute Arbeitsmarktverfassung sticht dabei hervor. Insbesondere die Erfahrung vieler Unternehmen in der Pandemie – als sie nach umfangreichen Entlassungen plötzlich mit viel zu wenig Arbeitskräften dastanden, die dann teuer wiedereingestellt werden mussten – dürfte auch in den nächsten Monaten größere Einschnitte am Arbeitsmarkt und somit bei den Konsumausgaben verhindern.
  • Die Notenbank in den USA zeichnet sich durch große Flexibilität aus. Bereits in der Vergangenheit wurde immer wieder unter Beweis gestellt, dass man zu harten Belastungen der Wirtschaft auch schnell wieder mit Zinssenkungen begegnet.
  • An der Börse haben sich gewisse Gewöhnungseffekte breitgemacht, sowohl was die harte Gangart der Fed als auch die sich abzeichnende wirtschaftliche Delle angeht. Insbesondere scheint sich die Sichtweise durchzusetzen, dass eine temporäre wirtschaftliche Durststrecke ein kleineres Übel ist als eine zu lasch bekämpfte Inflation. Dieser Position können wir uns nur anschließen.

 

Fazit für Anlegerinnen und Anleger

Gerade turbulente Börsenphasen verführen zu vorschnellen Anlageentscheidungen. In Bezug auf US-Aktien sorgen aktuell besonders die Zwischenwahlen und das markante Auftreten der Fed für Unsicherheit.

Nichtsdestotrotz sind und bleiben US-Aktien ein ganz elementarer Bestandteil eines sinnvoll gestreuten Aktienportfolios.

Immerhin konzentrieren sich in den USA gut 50% des weltweit investierten Aktienkapitals. Hier finden sich nach wie vor die mit Abstand innovativsten und wachstumskräftigsten Unternehmen der Welt.

Daran werden auch die aktuelle wirtschaftliche Schwächephase und der – letztlich auch endliche – Zinserhöhungszyklus nichts ändern.

Wer prognosefrei und an der Marktkapitalisierung orientiert an den internationalen Aktienmärkten investiert ist, so wie wir es allen Anlegerinnen und Anlegern ans Herz legen, sollte auch in diesen Zeiten nicht am relativ hohen US-Anteil rütteln.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

Themen im Artikel

Infos über Quirin Privatbank AG

    Quirin Privatbank AG:

    Die Quirin Privatbank AG wurde 2006 als erste Honorarberaterbank in Deutschland gegründet – mit der Mission, die Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Die Bank ist Spezialist für professionelle, individuelle Vermögensverwaltung und einen langfristigen Vermögensaufbau.

    ...

    Disclaimer & Risikohinweis

    Quirin Privatbank AG News

    Weitere Trading News