Aktienmärkte 2022 – wohin geht die Reise?

Quirin Privatbank: Ein weiteres von Corona geprägtes Jahr liegt hinter uns. Ein Jahr, in dem wir im Vergleich zu 2020 in vielen Teilen der Welt einer gewissen Normalisierung unserer Lebensverhältnisse ein gutes Stück näher gekommen sind, insbesondere für Geimpfte.

Dies gelang trotz der Ausbreitung von Delta, der neuen Omikron-Variante und anderer Widrigkeiten.

Die Zivilgesellschaft und die globale Wirtschaft lassen sich nicht unterkriegen.

Die Aussicht, dass uns das Virus zwar weiter begleiten, aber wahrscheinlich nicht mehr so eng gefangen halten wird, spiegelte sich an den Kapitalmärkten in diesem Jahr vor allem an den Aktienbörsen positiv wider.

Die meisten relevanten Indizes setzen die im zweiten Halbjahr 2020 einsetzende Kurserholung fast im gesamten Jahr 2021 eindrucksvoll fort.

 

 

Aktienhochs lassen Investoren zögern – zu Unrecht

Speziell Anlegern, die aufstocken oder erstmals investieren möchten, bereiten die erreichten Kursniveaus zunehmend Kopfzerbrechen. Investoren wittern Korrekturgefahr und die Angst geht um, zu einem besonders unglücklichen Zeitpunkt einzusteigen.

Oft unterbleibt dann eine Investition. Was emotional durchaus verständlich ist, ist unter anlagestrategischen Aspekten aber ein Fehler.

Wer eine Investitionsentscheidung vom aktuellen Kursniveau abhängig macht, verlässt sich letztlich auf eine Prognose. Sie lautet: Man kommt noch einmal deutlich günstiger in den Markt.

Entgegen einer weit verbreiteten Überzeugung ist diese Prognose aber genauso unsicher wie jede andere auch.

Insbesondere ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kurse steigen oder fallen, grundsätzlich unabhängig vom aktuellen Kursniveau. Dies gilt auch für Phasen nach stärkeren Kursgewinnen.

Wer anhand seiner Anlageziele, seines Anlagehorizonts und seiner Risikotragfähigkeit die für sich persönlich richtige Aktienquote gefunden hat, kann befreit investieren. Denn die passende Anlagestrategie sorgt für die notwendige (emotionale) Sicherheit, auch stärkere Kursrücksetzer aushalten zu können.

Wo der Aktienmarkt gerade notiert, verliert damit die Relevanz für die Anlageentscheidung.

Aus einer langfristigen Perspektive – und erfolgreiches Investieren sollte immer eine solche mehr oder weniger langfristige Perspektive haben – ist die entscheidende Frage nicht, wann, sondern dass investiert wird.

Im Übrigen sind Höchstkurse gar nicht so außergewöhnlich, wie viele denken. Das zeigen sehr langfristige Datenreihen, die besonders im US-Aktienmarkt vorzufinden sind. Analysen des US-Aktienindex S&P 500 über die letzten knapp 100 Jahre (1926 bis 2020) zeigen, dass es sich bei rund einem Drittel (!) aller Monatsschlusskurse um ein jeweiliges Allzeithoch handelte.

Ein sehr beeindruckendes Ergebnis, wird doch ein Allzeithoch für gewöhnlich von vielen Marktteilnehmern als etwas sehr Außergewöhnliches – und somit hinderlich für Investitionen – erachtet.

Rational betrachtet ist das Allzeithoch aber eher die Regel als die Ausnahme, was – wenn man es sich genau überlegt – bei langfristig steigenden Märkten auch kein Wunder ist.

 

 

Leitplanken für die Aktienmärkte 2022

Auch wenn wir es für falsch halten, Anlageentscheidungen auf Prognosen abzustellen, so erachten wir es doch für sinnvoll, für unsere Kundinnen und Kunden gewisse Markteinschätzungen zur Einordnung der derzeitigen Rahmenbedingungen vorzunehmen.

Diese Einschätzungen sind als inhaltliche Leitplanken gedacht, damit man sich von womöglich stärkeren Kursschwankungen und vermeintlich heißen Anlagetipps nicht aus dem (Anlage-)Konzept bringen lässt.

Daher möchten wir mit Ihnen folgende Überlegungen zu aus unserer Sicht überregional marktbestimmenden Themen im Jahr 2022 (und wahrscheinlich auch darüber hinaus) teilen:

 

Corona

Die Delta-Variante ist zwar noch omnipräsent, in aller Munde ist aber bereits Omikron. Es deutet sich derzeit an, dass die aktuelle Booster-Kampagne bereits starken Schutz gegen die neue Variante bietet.

Ein nochmal verbesserter Impfstoff könnte zudem in wenigen Monaten bereitstehen. Das ist ermutigend.

Aber seien wir ehrlich: Niemand kann ermessen, wie oft wir eine solche Schleife noch mitmachen.

Wir gehen allerdings fest davon aus, dass auch diese Pandemie letztlich in einen endemischen Zustand münden wird und dass die Weltwirtschaft und die Unternehmensgewinne davon immer nur temporär gebremst, aber nicht dauerhaft niedergerungen werden.

Zudem dürften im neuen Jahr aus unserer Sicht noch einige wirtschaftliche Nachholeffekte zum Tragen kommen, die die Wirtschaft und die Aktienmärkte stützen sollten, denn der Investitions- und Konsumstau hat sich noch nicht vollständig aufgelöst.

 

Inflation

Das Thema dürfte die Märkte auch in 2022 weiter beschäftigen. Wir gehen hier weiterhin von einer im Jahresverlauf deutlich rückläufigen Inflationsrate aus und machen das an folgenden Aspekten fest:

  • Im neuen Jahr wird die Preisvergleichsbasis (Vorjahr 2021) deutlich höher sein als letztes Jahr. Der sogenannte Basiseffekt kehrt sich also um und wirkt preisdämpfend.
  • Zudem sieht es weiterhin nicht flächendeckend nach starken Lohnerhöhungen aus. Eine Lohn-Preis-Spirale bleibt damit unwahrscheinlich. Sollten die Löhne allerdings auf breiter Basis deutlich steigen, würde das das Risiko von anhaltend höheren Inflationsraten merklich erhöhen.
  • Vor allem in der Euro-Zone sind die Preissteigerungen auch weiterhin nur in einigen wenigen Bereichen sehr ausgeprägt. Es herrscht also kein Preisdruck auf breiter Front.
  • Die angebotsverknappenden Lieferengpässe sollten sich weiter zurückbilden. Bei den im letzten Jahr stark gestiegenen Energiepreisen zeigten sich zuletzt schon erste Entspannungstendenzen.

​Wenn sich die Inflationsraten tatsächlich in Richtung der Zielmarken der großen Notenbanken (2%) zurückbewegen sollten, dann dürften Wirtschaft und Märkte aufatmen – klassische Sparer und Festgeldanleger nicht.

Für sie bedeuten auch derartige Preissteigerungen im Nullzinsumfeld schmerzhaften realen Vermögens- bzw. Kaufkraftverlust.

 

Notenbankpolitik

Eng mit dem Inflationsthema verknüpft ist die Notenbankpolitik. Viele Marktteilnehmer dürften stark darauf achten, wie die Notenbanken agieren und vor allem welche Zwischentöne sie in der Kommunikation ihrer geldpolitischen Strategie anschlagen werden.

Die US-Notenbank (Fed) wird in 2022 voraussichtlich erste Straffungen vornehmen, sowohl auf der Zinsseite als auch bei den Anleiheaufkäufen, die im März auslaufen sollen. Zinsseitig plant sie nach jüngsten Ankündigungen drei Schritte in der zweiten Jahreshälfte.

Die EZB schränkt ihre Kaufprogramme zwar ein, bleibt aber insgesamt deutlich expansiver. Konkrete Zinsschritte sind vorerst nicht geplant.

Sorgenfalten bereiten uns die Pläne der Fed nicht. Es ist ihr bereits zwischen 2016 und 2019 gelungen, vor dem Hintergrund eines robusten Wirtschaftswachstums einige Zinsschritte nach oben zu vollziehen und sogar ihre Anleihebestände zurückzufahren – ohne dass dies größere Kursturbulenzen an den Kapitalmärkten verursacht hat.

Wir gehen davon aus, dass das auch diesmal wieder gelingt.

Grundsätzlich begrüßen wir jeden gut austarierten Schritt in Richtung Abbau der Notenbankbilanzen und Normalisierung des Zinsniveaus, sind sie doch nicht zuletzt auch ein Zeichen für eine aus Sicht der Notenbanker wieder robustere gesamtwirtschaftliche Entwicklung.

 

Zwischenwahlen im Weißen Haus

Politisch gesehen dürften die „Halbzeitwahlen“ in den USA interessant werden. Joe Biden könnte die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses verlieren. Er müsste dann, wie seinerzeit Donald Trump, teilweise über Dekrete weiterregieren, was seine Handlungsfähigkeit deutlich einschränken würde.

Dies könnte die Märkte für kurze Zeit verunsichern. Größere Kurskorrekturen halten wir aber in diesem Zusammenhang für sehr unwahrscheinlich.

 

Chinas Wirtschaft im Stress

Chinas angeschlagener Immobilienmarkt wird auch im neuen Jahr für die eine oder andere Schlagzeile gut sein. Mittlerweile erscheint es sogar möglich, dass Chinas Führungsriege einen Immobiliengiganten wie Evergrande tatsächlich Konkurs gehen lässt.

Eine Pleite dürfte die globalen Kapitalmärkte aber nicht aus den Angeln heben. Dafür ist der Konzern international zu wenig verflochten, was vor Kettenreaktionen schützt.

Für Entspannung sorgt auch, dass die Regierung allen Immobilienkäufern und Handwerkern im Lande, die gegenüber Evergrande in Vorkasse getreten sind, unter die Arme greifen will.

Das sollte auch das Wachstum in China stabilisieren – der entscheidende Punkt für die Frage nach möglichen internationalen Auswirkungen dieser Entwicklung.

Anhalten dürften auch die Spannungen zwischen der Regierung und einigen großen chinesischen Technologiekonzernen. Hier geht es um das Aufbrechen monopolistischer Strukturen sowie um stärkere Verbraucher- und Arbeiterrechte.

Auch aus den USA erhalten Chinas Tech-Granden derzeit Gegenwind. Die USA wollen das Engagement ihrer Anleger gegenüber undurchsichtigen chinesischen Unternehmen begrenzen.

Das Potenzial, eine globale Aktienkrise auszulösen, haben aber auch diese Entwicklungen unserer Einschätzung nach nicht.

 

Nachhaltigkeit weiter auf dem Vormarsch

Auch wenn das Thema Nachhaltigkeit keinen so starken direkten Einfluss auf die Märkte haben wird, wird es unserer Meinung nach doch allgegenwärtig sein. Nahezu alle Unternehmen beschäftigen sich mittlerweile damit.

Und wir sind überzeugt davon, dass das viele Konzerne am Ende besser macht – nicht nur unter Umwelt- und Sozialaspekten, sondern auch wirtschaftlich.

Dabei wollen wir nicht ausklammern, dass die Dekarbonisierung der Wirtschaft auch einige Stolpersteine mit sich bringen wird. So birgt z. B. auch hierzulande der damit verbundene enorme Investitionsbedarf angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte erheblichen Konfliktstoff.

Die Debatte um den vom neuen Finanzminister Lindner einfach umgewidmeten Kreditspielraum ist dabei vermutlich lediglich ein Vorspiel.

Auch sind zentrale Branchen, insbesondere das Baugewerbe, überausgelastet. Es stellt sich daher die Frage, ob die erforderlichen Investitionsprojekte überhaupt wie geplant realisiert werden können.

Auch stehen unpopuläre Entscheidungen an, wer die erforderlichen Ausgaben letztlich tragen soll.

 

 

Aus der globalen Perspektive sehen wir trotz der anhaltenden Unsicherheitsfaktoren alles in allem mit Zuversicht auf das neue Aktienjahr.

Nach den erfreulich starken Zuwächsen im letzten Jahr ist allerdings in puncto Renditeerwartungen sicherlich eine Prise Demut angebracht.

Auch möchten wir noch einmal betonen: Rückschläge können Aktienmärkte jederzeit treffen. Die Ursache muss auch gar nichts mit Corona, Inflation oder sonstigen aktuell beherrschenden Themen zu tun haben.

Gerade der Überraschungsfaktor ist an den Aktienmärkten ein Dauergast und entscheidend für plötzliche Ausschläge in die eine oder andere Richtung.

Aber derartige Rückschläge gehören dazu, ja, sie liegen sogar in der Natur der Aktienmärkte. Letztlich sind sie sogar der Grund, warum man als Anleger auf längere Sicht mit einer fairen Rendite rechnen kann, sozusagen als Risikoprämie.

 

Vorsprung durch Fortschritt

Abschließen möchten wir mit einer Überlegung, die weit über das Jahr 2022 hinausreicht.

Wir befinden uns gerade mitten in der vierten industriellen Revolution. In nahezu allen Lebensbereichen spielt die Digitalisierung eine Rolle. Seit Bestehen der Menschheit hat sich die Gesellschaft noch nie so rasant entwickelt wie in den letzten Jahrzehnten.

Und dieser Trend wird sich wohl noch beschleunigen, was sich letztlich positiv auf Produktivität, Wachstum und Wohlstand auswirken wird.

Das alles ist nach unserer Überzeugung ein guter Nährboden für die Aktienmärkte.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank

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