Deutschland: Schuldenbremse als Investitionsbremse?

Quirin Privatbank: Derzeit erhitzt eine politische Debatte die Gemüter.

Nicht zuletzt deswegen, weil sie eine enorme Tragweite für alle Bundesbürger hat, heute, aber auch in Zukunft.

Um was geht es?

Um die Schuldenbremse. Sie soll – der Name legt es nahe – dafür sorgen, dass der Staat sich nicht unbegrenzt verschulden kann.

Die Befürworter der Schuldenbremse halten ihr zugute, dass sie ein wichtiges Instrument sei, um den Hang des Staates, immer mehr Wohltaten zu verteilen, einzudämmen und vor allem für die so dringend nötige Generationengerechtigkeit zu sorgen.

Kritiker dagegen behaupten, dass sie wichtige Investitionen in Deutschland verhindere und dadurch ein viel größerer Schaden entsteht.

Aktuell wird intensiv diskutiert, ob und, wenn ja, wie es mit der Schuldenbremse weitergehen sollte.

Ehe ich meine Ansicht dazu teile, schauen wir einmal kurz auf die Fakten, woher die Schuldenbremse kommt, was sie bedeutet, wie sie reformiert werden könnte – und wie viel Schulden Deutschland eigentlich hat.

 

Schuldenbremse entstand nach Finanzkrise

Die Schuldenbremse geht zurück auf die weltweite Finanzkrise 2008/2009 – damals verschuldeten sich viele Staaten über Gebühr, das sollte in Zukunft vermieden werden.

Seit 2016 gilt sie in Deutschland für den Bund, für die meisten Bundesländer seit 2020.

 

Umfang neuer Schulden ist an die Wirtschaftsleistung gekoppelt

Die Schuldenbremse deckelt die Neuverschuldung in Abhängigkeit von der Wirtschaftsleistung.

Konkret: Der Bund darf neue Schulden maximal in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen.

Die zulässige Neuverschuldung ist daher von der Wirtschaftskraft Deutschlands abhängig, was sicherlich ein vernünftiger Ansatz ist.

Immerhin gilt Ähnliches auch für die Verschuldungsgrenzen von Unternehmen und Privatpersonen.

Eine Deckelung scheint vor allem sinnvoll, wenn man einen Blick auf das aktuelle Schuldenkonto der Bundesrepublik wirft: Rund 2,5 Billionen Euro stehen da zu Buche, ein Betrag, den man sich im Grunde gar nicht mehr vorstellen kann.

Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt aktuell bei etwa 30.000 Euro je Bundesbürgerin und Bundesbürger.

Und dennoch: Im Vergleich zu anderen Ländern liegt die Gesamtverschuldung in Deutschland mit etwa 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das rund 3,7 Billionen Euro beträgt, noch eher an der Untergrenze.

 

Gibt es Ausnahmen?

Ausnahmen von der Schuldenbremse gibt es derzeit nur bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“.

Zuletzt erlebt haben wir das während der Corona-Pandemie.

60 Milliarden Euro nicht abgerufene Coronahilfen sollten letztes Jahr umgewidmet und für Klimaschutz und Infrastrukturprojekte genutzt werden.

Doch das ist nicht zulässig, wie der Bund vom Verfassungsgericht schmerzhaft erfahren musste.

 

Schuldenbremse sorgt für Generationengerechtigkeit

Wie sinnvoll die Schuldenbremse ist, darüber streiten sich Ökonomen, Politiker und Gewerkschaften leidenschaftlich.

Ich persönlich glaube, dass es ohne nicht geht.

Die Politik ist nicht diszipliniert genug, sie will den Wählern fortlaufend Geschenke machen und ein Schuldendeckel verhindert das.

Zudem sorgt die Schuldenbremse für Generationengerechtigkeit.

Verschulden wir uns heute über Gebühr, müssen das die nachfolgenden Generationen ausbaden.

Das erklärt auch Volkswirt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim:

 

„Die Schuldenbremse abzuschaffen, wäre eine fatale Lösung.

Dann würden wir den nachfolgenden Generationen auch fiskalisch noch einen Scherbenhaufen hinterlassen.“

 

 

Schuldenbremse als Investitionsbremse?

Kritiker unterstreichen, dass die Schuldenbremse wichtige Investitionen verhindere.

So auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.

„Wir brauchen jetzt eine Investitionsoffensive, damit Deutschland zukunftsfähig wird“, meint Fratzscher.

Wenn der Staat jetzt am Sparhaushalt festhalte, entstehe ein viel größerer Schaden als durch die Aufnahme neuer Schulden.

Der Ökonom Peter Bofinger von der Universität Würzburg geht noch weiter und bezeichnet die Schuldenbremse als „zukunftsfeindlich“.

Man könne sehen, wie die Bremse unsere Zukunftsgestaltung beschneide, beispielsweise bei notwendigen Investitionen in Bahnmodernisierung, Gebäudesanierung und Halbleiterfabriken.

Das mag in der aktuellen Situation ja alles durchaus so sein, trotzdem hat dieses Investitionsargument in meinen Augen etwas Unseriöses an sich.

Denn dabei geht völlig verloren, dass jede seriöse Haushaltsführung ja in erster Linie eine Priorisierung sämtlicher Ausgaben erfordert.

Die gesamten Steuereinnahmen betrugen allein im Jahr 2022 rund 856 Milliarden Euro.

Auf den Bund entfielen dabei 336 Milliarden Euro, auf die Länder 384 Milliarden Euro und die Gemeinden 136 Milliarden Euro.

Trotz dieser enormen Summen sollte es nicht möglich sein, die Finanzierung der nötigen Investitionen von Anfang an mit zu berücksichtigen?

Und eben nicht erst, nachdem die verfügbaren Gelder für alle möglichen anderen Wünsche ausgegeben sind?

Das Ganze gleicht der Situation eines Elternpaares, das den Großteil seines Einkommens für Liebhabereien ausgibt und dann von der Bank eine Erhöhung seiner Kreditlinie will mit dem Argument, dass es anderenfalls seinen Kindern nichts zum Essen kaufen könne.

 

Reformideen liegen vor

Lockerung, Aussetzung, Erhöhung – Ansätze für die Reformierung der Schuldenbremse gibt es einige und Meinungen darüber, welcher der richtige Weg ist, noch mehr.

So spricht sich beispielsweise der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die „Wirtschaftsweisen“) dafür aus, die bestehende Schuldenbremse auszusetzen und zu reformieren.

Die Schuldenregel sei unnötig restriktiv, sagte Monika Schnitzer, die Vorsitzende.

Der Vorschlag der Ökonomen: Die aktuelle Verschuldungsgrenze erhöhen, je nach Höhe der Gesamtschuldenquote könnte sie auf bis zu 1 Prozent steigen.

Zudem sind Übergangsregelungen nach Krisen nötig, sodass die Kreditaufnahme nicht abrupt, sondern schrittweise zurückgefahren wird.

Wirtschaftsforscher Jens Südekum ergänzt: „Zukunftsausgaben, also Investitionen, sollten kreditfinanziert werden dürfen.“

Die Schuldenbremse sollte aus seiner Sicht für konsumtive Ausgaben des Staates gelten, also vor allem für Transferzahlungen.

Kritiker einer Aufweichung der Schuldenbremse wiederum betonen das enorme Finanzierungspotenzial, das durch eine konsequente Durchforstung und eventuelle Streichung aller Ausgabenposten mobilisiert werden könnte.

Denn viele Gelder werden oftmals völlig sinnfrei ausgegeben.

Dazu gab es dieser Tage übrigens einen interessanten Podcast von Gabor Steingart mit den Ökonomen Prof. Dr. Dr. Lars Feld und Prof. Dr. Justus Haucap, die beide strikt gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse sind.

 

Schuldenbremse und Geopolitik

Doch wie auch immer man sich in dieser Angelegenheit positionieren mag, die Realität wird die Schuldenbremse überrollen – praktisch und theoretisch.

Denn unsere neue Wirklichkeit ist – ob uns das gefällt oder nicht –, dass wir in Europa auf eine neue Sicherheitsarchitektur zusteuern.

Unabhängig davon, ob Trump die Wahl gewinnt oder nicht, werden die USA sich stark aus Europa zurückziehen, und wir werden uns selbst um unsere Sicherheit und militärische Abschreckung kümmern müssen.

Das bedeutet Militarisierung, Aufrüstung, Waffenproduktion, sprich einen staatlichen Haushalt mit exorbitant steigenden Militärausgaben, die vorrangig mittels Schulden finanziert werden müssen.

Das sogenannte 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen des Bundes, das Bundeskanzler Scholz in seiner berühmten Zeitenwende-Rede vor dem Deutschen Bundestag angekündigt hat, ist davon lediglich ein Vorgeschmack.

Ist es doch – anders als der Name suggeriert – kein Vermögen, sondern nichts anderes als eine Kreditermächtigung des Bundes, die außerhalb des üblichen Haushalts geführt wird.

Die Debatte über das Für und Wider einer Schuldenbremse ist vor dem Szenario einer steigenden Militarisierung Europas nicht weiter durchzuhalten.

Man kann nur hoffen, dass man sich an die Schuldenbremse erinnern wird, wenn wir uns geopolitisch in einigen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten wieder in einem ruhigeren Fahrwasser befinden.

 

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

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