Nervös oder gelassen? So reagieren Börsen auf Wahlergebnisse

Quirin Privatbank: Die Stimmen sind gezählt, Deutschland hat gewählt. Eine Regierung gibt es – wie so oft in den vergangenen Dekaden – trotzdem nicht. Noch nicht. Denn keine der angetretenen Parteien konnte eine absolute Mehrheit erzielen. Also muss koaliert werden. Damit beginnt nun das zähe Buhlen der verschiedenen Koalitionspartner um- und miteinander.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine Koalition aus drei Parteien wahrscheinlich. Theoretisch sind derzeit fünf regierungskonstituierende Konstellationen möglich: eine große Koalition, eine Deutschland-, eine Jamaika-, eine Kenia- und eine Ampel-Koalition.

Die Positionen der einzelnen Parteien liegen zum Teil naturgemäß weit auseinander, aber es gibt auch viele Schnittmengen. Und deshalb heißt es jetzt: Geduld! Es beginnt das Sondieren, das Ausloten, wer mit wem welche Koalition bilden kann und will.

Auch wenn alle Vertreter der möglichen Regierungsparteien CDU, SPD, Grüne und FDP noch in der Wahlnacht zügige Sondierungen befürwortet haben, dürfte es sich noch eine ganze Weile hinziehen, bis klar ist, wer in welcher Konstellation unser Land regieren wird. Lange Sondierungen wiederum machen Unternehmer nervös, da ihnen die Planungssicherheit fehlt, solange keine neue Regierung feststeht.

Schlagen diese Unsicherheiten auf Seiten der Unternehmer auch auf die Börsen durch? Steht Anlegern eine Phase schwankender Märkte bevor? Ist jetzt mit instabilen Kursen zu rechnen, bis die Würfel gefallen sind? Und welchen Einfluss haben Wahlen, wie die einer neuen Bundesregierung, auf die Wirtschaft insgesamt und auf börsennotierte Unternehmen insbesondere?

Um diese Fragen beantworten zu können, habe ich mir einmal angesehen, wie die Märkte rund um die bzw. in Folge der Bundestagswahlen historisch gesehen reagiert haben. Hierzu gibt es verschiedene Studien, die recht interessante Ergebnisse vorlegen und die im Rahmen der Wahlberichterstattung in den letzten Tagen durch die Presse gingen. Auf zwei möchte ich näher eingehen.

Die HSBC Deutschland sieht durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Wahlgeschehen und der Performance des deutschen Leitindex DAX in den letzten 33 Jahren seit dessen Gründung. So verlor der DAX im Durchschnitt über alle Jahre hinweg in den 20 Handelstagen vor dem Wahltermin zwei Prozent an Wert. In der ersten Handelswoche nach der Wahl gab er um ein weiteres Prozent nach, um dann in den 15 Handelstagen nach dem Wahltermin wieder ein Prozent zuzulegen. Da der September aber generell als eher schwacher Börsenmonat gilt, sind diese Wertentwicklungen nicht allein auf die Wahlen zurückzuführen.

Eine Betrachtung je nach regierender Partei nahmen die Vermögensverwalter Funke und Helmle vor. Sie zeigen, dass der DAX in CDU/CSU-geführten Zeiten jährlich gut elf Prozent zulegte, unter sozialdemokratischer Führung hingegen nur knapp zwei Prozent. Das heißt aber noch lange nicht – so formulieren es auch die Verfasser der Studie –, dass sozialdemokratische Kanzler eine schlechtere Wirtschaftspolitik machen. Vielmehr kann es auch sein, dass in Krisenzeiten zufällig öfter Sozialdemokraten regierten. Trotzdem scheinen Marktteilnehmer bei einer sozialdemokratischen Partei eher negative Auswirkungen auf die Wirtschaft zu befürchten. So wiesen die ersten zehn Handelstage nach der Wahl einer CDU/CSU-Kanzler/-in eine leicht positive Rendite von 0,2 Prozent auf. Bei einem SPD-Wahlsieg hingegen verlor der DAX im selben Zeitraum durchschnittlich rund 4,5 Prozent.

Deutlich ausführlicher hat sich die F.A.Z. am 7. September 2021 dem Thema gewidmet. Sie hat sich angeschaut, unter welchem Kanzler und welcher Regierungspartei die deutsche Wirtschaft (Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP; Arbeitslosenquote) gewachsen ist und wie sich die Aktienkurse des F.A.Z.-Index entwickelt hätten.

Immer wenn die CDU an der Regierung war, lief es an der Börse (zumindest für den zugrundeliegenden F.A.Z. Index) demnach besser, insbesondere bei Regierungsbeteiligung der FDP. In den 16 Jahren unter Helmut Kohl brachte es der F.A.Z.-Index per anno auf ein Plus von 12 Prozent, und auch die schwarz-gelbe Regierung unter Angela Merkel brachte es noch auf eine Jahresrendite von mehr als 8 Prozent. Über die gesamte Ära Merkel hinweg schrumpfte das Ergebnis aber auf 4 Prozent per anno zusammen. Wenn die SPD regierte, sah es deutlich schlechter aus. Kommt die Ära unter Helmut Schmidt noch auf einen überschaubaren Zuwachs, der bereits unter dem der CDU liegt, so gab es unter Gerhard Schröder so gut wie gar keinen Zuwachs, unter Willy Brandt musste sogar ein erhebliches Minus verbucht werden.

Doch diese Betrachtung ist in mehrerlei Hinsicht nicht ganz fair, weil viele zentrale Faktoren außen vor bleiben oder deren Wirkung falsch zugeschrieben wird, das sagt auch die F.A.Z. selbst.

 

Wahlen haben kaum Einfluss auf die Börsenentwicklung

Ich habe mir aber nicht nur externe Studien angesehen, sondern auch selbst mal einen Blick auf den DAX geworfen. Seit dessen Start im Sommer 1988 gab es – einschließlich der diesjährigen – bisher neun Bundestagswahlen. Ich habe mir pro Wahljahr jeweils die drei Monate vor und die sechs Monate nach der Wahl angesehen. Und die Kursverläufe in diesen Zeiträumen könnten kaum unterschiedlicher sein. Es gibt weder ein typisches Ab vor den Wahlen und ein typisches Auf danach – noch andersherum. Der Einfluss der Wahlen auf die Entwicklung der Aktienmärkte ist in Deutschland also wirklich eher klein und fällt kaum ins Gewicht.

 

Diese Faktoren beeinflussen die Börsenentwicklung

Dabei hätte ich schon gerne ein bisschen polarisiert und gesagt: Unter einer SPD-geführten Regierung lief es bisher immer gut, unter einer CDU-geführten immer schlecht – oder umgekehrt. Aber das wäre viel zu kurz gegriffen, denn die Börsenkurse unterliegen viel komplexeren Einflussfaktoren als nur der Tatsache, welche Partei gerade regiert. Entscheidend für den Verlauf der Aktienkurse und der Börsenentwicklung sind vielmehr folgende Faktoren: die erwarteten Unternehmensgewinne, die dann tatsächlich gemeldeten Gewinne, das allgemeine Zinsniveau als Alternative zur Aktienanlage, die Konjunkturindikatoren wie Auftragseingänge, Industrieproduktion, BIP, Arbeitslosenquote und Inflationsrate. Aber auch anlegerpsychologische Faktoren wie Angst und Gier können sich erheblich in den Kursen niederschlagen und letztlich auch nicht kalkulierbare Faktoren wie z. B. die Anschläge vom 11. September, die Corona-Pandemie und andere.

Mein Fazit: Im Großen und Ganzen kann man es sogar auf die Spitze treiben und sagen, dass es letztlich nur Zufall ist, welche Partei in Zeiten steigender Aktienmärkte an der Macht ist. Zumal die Börsenkurse langfristig betrachtet ja ohnehin immer steigen, egal wer unser Land regiert.

Und da sind wir bei einem wichtigen Punkt, liebe Leserinnen und Leser: Erfahrungsgemäß werden Bundestagswahlen gerne überschätzt. Wie auch immer die Koalitionsverhandlungen ausgehen und wer am Ende das Ruder in den Händen hält: Der deutschen Börse ist das letztlich egal, den weltweiten Börsen erst recht. Sie können sich also entspannt zurücklehnen, selbst wenn es noch eine Weile dauert, bis klar ist, wer unser Land in der nächsten Legislaturperiode regieren wird.

Und ich finde, aus Anlegersicht ist das doch absolut beruhigend: Wir wissen, dass die Märkte langfristig immer steigen und dass das politische Gebaren in Deutschland – solange wir uns politisch nicht in irgendwelchen Extremsituationen rechts oder links außen bewegen – kaum Einfluss auf die Entwicklung des DAX nimmt, von anderen internationalen Indizes ganz zu schweigen.

Das gilt noch einmal mehr, wenn Sie den Rat befolgen, den wir an dieser Stelle hier immer gebetsmühlenartig predigen. Stellen Sie sich in Sachen Vermögensanlage breit auf, das heißt: Investieren Sie in so viele Unternehmen wie möglich, weltweit. Dann hat ein nationaler Index wie der DAX ohnehin nur so wenig Gewicht, dass, selbst wenn es zu wahlbedingten Verwerfungen käme, Sie das kaum spüren würden. Wichtig auch: Bleiben Sie investiert, wenn Sie die richtige Strategie für sich gefunden haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine zugleich spannende und entspannte Nach-Wahl-Zeit – spannend ob des politischen Ausgangs und entspannt ob des Wissens, dass das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen dem Aktienmarkt ziemlich egal ist.

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