Rentensystem unter Druck: Was ist die Lösung?

Quirin Privatbank: Erstmals gehen in diesem Jahr mehr Menschen in Rente als volljährig werden.

Damit stehen wir an einem echten Wendepunkt. Unsere Gesellschaft wird immer älter.

Das, was für die meisten von uns ein Grund zur Freude ist, weil wir vermutlich länger leben dürfen als unsere Großeltern und Eltern, ist für das deutsche Rentensystem eine Katastrophe.

Denn der Generationenvertrag funktioniert nicht mehr.

Das war lange abzusehen – wir wissen seit Jahren, seit Jahrzehnten, dass wir auf ein gewaltiges Rentenproblem zusteuern.

Die bisherige Strategie des Wegduckens und Vertagens auf später bei den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern reicht nun endgültig nicht mehr.

Denn die Altenrepublik ist Realität geworden, in einigen Landkreisen wird es mehr Menschen mit Pflegestufe geben als Menschen unter 30.

 

Rentenproblematik wird immer nur von einer Seite gedacht

Was mir an der ganzen Diskussion, wie wir die Situation nun in den Griff bekommen wollen, sehr missfällt, ist der Punkt, dass das Problem immer nur von einer Seite betrachtet und gedacht wird: Alle schauen immer nur auf die aktuellen Beitragszahlenden, die Rentner und die Renten.

An der Zahl der Rentnerinnen und Rentner lässt sich aber nun mal nichts ändern, auch nicht an der Zahl derer, die in absehbarer Zeit in Rente gehen werden.

Was wir alle aber sehr wohl beeinflussen können, ist, wie viele Beitragszahlende es in Zukunft geben wird.

Wir brauchen mehr Kinder, wir müssen uns als Land verjüngen, nicht nur, aber auch weil die Kinder von heute die Rentenzahlenden von morgen sind.

 

 

Also kurzum: Mehr Kinder braucht das Land.

Denn die ursprüngliche Idee „Die heutigen Arbeitnehmer finanzieren die heutigen Rentner“ geht immer weniger auf, weil es immer weniger Arbeitende und immer mehr Rentnerinnen und Rentner gibt, die noch dazu immer älter werden, was ein Zeichen unseres allgemein steigenden Lebensstandards und Wohlstandes ist.

Geburtenstarke Jahrgänge (die sogenannten Babyboomer, geboren in den 1960er Jahren), die jetzt oder in naher Zukunft massenhaft in Rente gehen, verschärfen die heute bereits angespannte Rentensituation erheblich, denn ihnen stehen geburtenschwache Jahrgänge gegenüber, die die Rente erwirtschaften sollen.

Die nachfolgende Grafik verdeutlicht das Ausmaß des Problems: Immer weniger Rentenbeitragszahlende finanzieren immer mehr Rentner.

Schulterten 1962 noch ganze sechs Beitragszahlende die Rente eines einzigen Rentners, waren es 2020 nur noch 1,8 Beitragszahlende. Und die Prognosen für die kommenden Jahre sehen noch trüber aus.

 

 

Was sind die üblichen Lösungsvorschläge?

Weil die Beitragszahlenden die Rente schon lange nicht mehr allein erwirtschaften können, bezuschusst der Staat sie – mittlerweile mit etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr.

Das ist der größte Posten im gesamten Bundeshaushalt, wohlgemerkt, und eine enorme Summe, die wir gerne mal kurz wirken lassen dürfen: 100.000.000.000 Euro.

Deshalb kommen wir nicht länger umhin, die Rente zu reformieren.

Im Großen und Ganzen stehen hier vor allem die folgenden drei Maßnahmen zur Diskussion:

  • Anhebung des Renteneintrittsalters
  • Reduzierung der Rentenhöhen
  • Erhöhung der Rentenbeiträge

 

 

Politisch gesehen ist es aber reiner Selbstmord, diese Maßnahmen umzusetzen, denn sie sind in der breiten Bevölkerung allesamt unpopulär. Und das ist absolut nachvollziehbar – gerade Menschen, die in körperlich anstrengenden Berufen arbeiten, können nicht noch länger arbeiten – für sie ist das heutige Renteneintrittsalter schon schwer erreichbar.

Auch eine Reduzierung der Rentenhöhen ist kaum zumutbar – Altersarmut ist schon heute ein immer häufiger werdendes Problem. Und aufgrund dieser Brisanz traut sich kaum eine Politikerin oder ein Politiker ran an das Thema.

Ein überaus heißes Eisen – gerade mit Blick auf die leeren Rentenkassen – ist der Beamtenapparat, den Deutschland sich nach wie vor leistet. Die Besserstellung der Staatsdienenden vor allem in monetärer Hinsicht ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und kostet den Staat Unsummen an Alterspensionen.

Da die Politikerinnen und Politiker sich mit entsprechenden Modernisierungen hier aber ins eigene Fleisch schneiden würden, wird es wohl noch lange dauern, bis sich in dieser Hinsicht etwas tut.

 

 

Zudem würde es zur Entspannung der Rentenkassen beitragen, wenn alle Arbeitenden dort einzahlen würden, also auch Beamte und Selbständige, auch wenn das vermutlich ebenfalls wenig Begeisterung auslösen wird.

Eine weitere Maßnahme, um das Rentenproblem zwar nicht zu lösen, aber zumindest etwas zu entschärfen, wird nun anscheinend endlich ernsthaft angegangen: die Aktienrente – eine Idee, für die ich schon lange plädiere.

Aktienrente bedeutet, dass ein Teil der gesetzlichen Rentenbeiträge aus dem Umlageverfahren am Aktienmarkt investiert wird. So können über die Jahre deutlich höhere Renditen als jetzt erzielt werden, und der Zinseszinseffekt lässt die so investierten Gelder weiter wachsen.

Die Aktienrente kann damit neben der privaten Vorsorge, beispielsweise durch regelmäßige ETF-Sparpläne, zu einer wichtigen Säule der gesamten Altersvorsorge werden.

Ich begrüße diese Maßnahme deshalb sehr, allerdings kann sie wie gesagt das Thema nur entschärfen, nicht aber lösen.

 

Die Politik ist gefragt: Mehr Anreize für mehr Kinder

Was wäre die bessere Lösung? Ein kinderfreundliches und kindergerechtes Land! Dafür müssten in Deutschland jedoch dringend entsprechende Anreize gesetzt werden, da wir derzeit nicht gerade die Ranglisten der kinder- und familienfreundlichsten Staaten anführen.

Ziel dieser Anreize muss es sein, dass es sich alle Bevölkerungsschichten (wieder) leisten können und wollen, mehr(ere) Kinder zu bekommen.

Konkrete Maßnahmen, die die Politik hierfür ergreifen könnte, wären aus meiner Sicht:

  • Erhöhung des Kinderfreibetrags
  • Steuerentlastungen für Familien, z. B. ausgeweitete steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen, Tagesmüttern etc.
  • Ablösung des Ehegattensplittings durch ein „Familiensplitting“
  • Entlastung von Alleinerziehenden
  • Bildungsgutscheine für alle
  • Freier Eintritt in Einrichtungen wie Zoos und Museen für Kinder und deren Begleiter
  • Bezuschussung aller Produkte rund ums Kind, z. B. reduzierter Mehrwertsteuersatz für Spielzeug und Kinderbekleidung (Tiernahrung hat einen niedrigeren MwSt.-Satz als Babynahrung, stellen Sie sich das mal vor!)
  • Kostenfreie Kinderbetreuung in ausreichendem Umfang
  • Besserer Personalschlüssel in der Kinderbetreuung, bessere Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher
  • Investitionen in mehr Lehrerinnen und Lehrer und ein moderneres Bildungssystem
  • Verbesserung der Infrastruktur von Schulen – Stichwort Ganztagsschulen
  • Staatlicher Wohnungsbau, insbesondere für größere Familien
  • Familienfreundliche Arbeitgeber
  • Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur auf dem Papier
  • Gesamtgesellschaftlich eine freundlichere Wahrnehmung von Kindern (gelten oft als Störfaktor)

 

 

Doch selbst wenn all diese Maßnahmen tatsächlich zeitnah ergriffen würden, kann man Kinder naturgemäß nicht von einem auf den anderen Tag herbeizaubern. Zumal es für deutlich mehr Kinder vor allem auch eine Menge innere Zuversicht der potenziellen Eltern braucht.

Umso wichtiger ist es, dass die Politik hier keine weitere wertvolle Zeit verstreichen lässt, sondern schnellstmöglich ins Tun kommt und eben auch an möglichst vielen der genannten Schrauben einer etwas anders angegangenen Rentenpolitik dreht.

So viel, wie staatlicherseits an so vielen Stellen eingegriffen wird, an denen man es lieber unterlassen sollte (Stichwort Bürokratie oder Überregulierung), könnte hier stattdessen hoheitliches Eingreifen vom Staat wirklich einmal die berühmten „Rahmenbedingungen“ schaffen, die für ein Mehr an Kindern und Familien nötig sind.

Ob die aktuell Regierenden sich dieser Mittel und Maßnahmen bewusst sind, kann ich nur schwer einschätzen. Fakt ist: Wir überaltern nicht nur als Gesellschaft, sondern auch in der Politik.

Vielerorts fehlt es an jungen Politikerinnen und Politikern und damit an einer starken Lobby, die sich konsequent für die Belange der jungen Menschen einsetzt.

Der/Die letzte Bundeskanzler/-in mit eigenen Kindern war übrigens Helmut Kohl. Er war bis 1998 im Amt.

Seit einem Vierteljahrhundert fehlt es an der Regierungsspitze damit also gewissermaßen an eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht.

 

 

Dabei sind mehr Kinder eine Lösungskomponente für viele Probleme, die wir auf gesamtgesellschaftlicher Ebene haben, nicht nur für die Rentenkasse:

  • Fachkräftemangel würde behoben
  • Generationenvertrag würde mit weniger staatlichen Subventionen funktionieren
  • Derzeit schrumpfende Bevölkerung würde wieder wachsen
  • Vergreisung der Gesellschaft würde gestoppt

Es lohnt sich also, die Familien- und damit gleichzeitig die Rentenpolitik zu modernisieren oder gar zu revolutionieren.

Nur dann können wir vielleicht irgendwann mal wieder sagen, womit Norbert Blüm einst in den Wahlkampf zog: „Die Rente ist sicher.“

 

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

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