Warum steigende Zinsen für ein breit gestreutes Anleihedepot keine schlechten Nachrichten sind

quirion: Angesichts der aktuellen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie der heftig gestiegenen Inflation und der zunehmend restriktiver werdenden Geldpolitik seitens der Notenbanken, geht die Mehrheit der Finanzanalysten davon aus, dass wir bereits mitten in einer nachhaltigen Zinswende nach oben stehen.

Daher sind sie davon überzeugt, dass sich die Renditesteigerungen der letzten Monate (vgl. folgende Abbildung) fortsetzen werden.

 

 

Nach unserer Einschätzung und Erfahrung ist das allerdings alles andere als ausgemacht. Selbstverständlich können wir ein solches Szenario auch nicht gänzlich ausschließen, denn Anzeichen dafür gibt es durchaus.

Die meisten Expertinnen und Experten jedenfalls gehen von weiter steigenden Zinsen aus.

Entsprechend düstere Aussichten werden für Anleihedepots skizziert: Da im Zuge weiter anziehender Zinsen auch mit zusätzlichen Kursverlusten bei Anleiheinvestments zu rechnen sei, werden sie als im Grunde unattraktive Anlagemöglichkeit dargestellt und entsprechend „schlechtgeschrieben“.

 

Negativer Kurseffekt und positiver Wiederanlageeffekt

Wenngleich nicht in Abrede gestellt werden kann, dass steigende Zinsen bzw. Renditen fallende Anleihekurse bedeuten, folgt daraus keineswegs, dass Anleihedepots deshalb keine vernünftige Anlage mehr sind.

Denn der Zusammenhang zwischen steigenden Zinsen und fallenden Kursen ist nur eine Hälfte der Wahrheit.

 

 

Die andere Hälfte besteht darin, dass ein Zinsanstieg eben auch bedeutet, dass wir es dann mit einem veränderten Zinsumfeld zu tun haben: Anleihen sind nun nach einer langen Durststrecke ganz grundsätzlich wieder attraktiver geworden und es haben sich insbesondere die Bedingungen für die Wiederanlage freiwerdender Mittel (Zins und Tilgung) spürbar verbessert.

Vor allem der zweite Aspekt ist angesichts des aktuellen Zinsumfeldes von großer Bedeutung. Er spielt zwar für eine einzelne Anleihe nur eine untergeordnete Rolle, wohl aber im Rahmen von Anleihedepots, welche breit über unterschiedliche Laufzeiten diversifiziert sind.

Hier sind grundsätzlich immer zwei Effekte am Werk: Einerseits bewirken steigende Zinsen vor allem für Anleihen mit längeren Restlaufzeiten fallende Kurse, was die Marktbewertungen der Anleihedepots mindert.

Andererseits bewirken dieselben steigenden Zinsen, dass fällig werdende Kurzläufer in den Depots nun zu deutlich besseren Konditionen, sprich höheren Renditen, neu angelegt werden können.

Dies gilt umso mehr, wenn sich – wie in den letzten Monaten sowohl in den USA als auch in Deutschland geschehen (vgl. folgende Abbildung) – der Zinsanstieg mehr oder weniger in allen Laufzeitsegmenten abgespielt hat.

Denn dadurch kann unabhängig davon, für welche Laufzeiten man sich entscheidet, grundsätzlich renditeträchtiger neu angelegt werden.

 

 

Die höherrentierliche Neuanlage fällig werdender Anleihen (und Zinsen) sowie die dadurch erreichte verbesserte Wertentwicklung wird als „Wiederanlageeffekt“ bezeichnet.

Dieser wirkt sich bei steigenden Zinsen in jedem Fall positiv auf ein Anleihedepot aus.

In der folgenden Grafik sind die Auswirkungen beider Effekte – negativer Kurseffekt und positiver Wiederanlageeffekt – schematisch zusammengefasst.

 

 

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen, sei auf einen wesentlichen Unterschied hingewiesen: Der negative Kurseffekt beeinflusst den Depotwert unmittelbar und zeitgleich mit dem erfolgten Zinsanstieg.

Konkret bedeutet dies, dass Anlegerinnen und Anleger im Monat des Zinsanstiegs auf ihren (monatlichen) Depotauszügen einen Kurverlust ihrer Anleiheinvestments ausgewiesen bekommen.

Der oben beschriebene positive Wiederanlageeffekt dagegen benötigt eine bestimmte Zeit, damit sich sein wertsteigender Einfluss bemerkbar machen kann. Je mehr Anleihen in nächster Zeit fällig werden und zu verbesserten Bedingungen reinvestiert werden, desto stärker ist der positive Effekt.

Desto schneller ist auch der Zeitpunkt erreicht, an dem der positive Wiederanlageeffekt den negativen Kurseffekt ausgleicht, ja sogar überkompensiert.

 

 

Für ein bestehendes Anleihedepot kann der genaue Zeitpunkt, an dem sich beide Effekte gewissermaßen die Waage halten, sogar durch eine Kennzahl ausgedrückt werden: die sogenannte „Duration“ des Depots.

Diese stellt man sich am besten als eine Art gewichtete mittlere Bindungsdauer sämtlicher zukünftiger Rückflüsse aus dem Depot (d. h. Kupons sowie zwischenzeitliche Fälligkeiten) vor.

Der Anleiheanteil unserer Marktstrategie beispielsweise hat eine Duration von rund drei Jahren und sechs Monaten.

Das bedeutet: Auf Sicht von dreieinhalb Jahren ist es für den Gegenwert des Anleihedepots egal, ob die Zinsen nun weiter steigen oder womöglich wieder fallen, denn ein negativer (positiver) Kurseffekt wird dann durch einen positiven (negativen) Wiederanlageeffekt ausgeglichen sein.

Dieser zugegebenermaßen recht komplexe Zusammenhang wird durch folgende Grafik schematisch illustriert. Dargestellt sind zwei fiktive Wertentwicklungen eines Anleihedepots mit Wiederanlage vor und nach einer Zinserhöhung.

Die gestrichelte Linie stellt den Depotwert dar, wie er sich im Zeitablauf entwickeln würde, wenn die Zinsen auf ihrem alten und niedrigen Niveau verharren würden.

Die durchgezogene Linie dagegen zeigt die Entwicklung des Depotwertes nach einer Zinserhöhung.

 

 

Zum Zeitpunkt null („heute“) hat das Depot einen bestimmten Marktwert, der hier auf 100 gesetzt ist. Verharren die Zinsen auf ihrem aktuellen Niveau, entwickelt sich der Depotwert entlang der gestrichelten Linie.

Steigen sie jedoch, fallen zunächst die Kurswerte der Anleihen und der Wert des Gesamtdepots sinkt in der Folge, sagen wir beispielsweise um 6% auf ein Niveau von 94.

Die verbesserten (höherverzinsten) Wiederanlagebedingungen führen nun aber dazu, dass die weitere Wertentwicklung des Depots dynamischer verläuft, was sich in der Grafik durch einen stärkeren Anstieg der Wertentwicklungskurve zeigt.

Ab einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt hat der verbesserte Wiederanlageeffekt die ursprünglichen Kursverluste genau ausgeglichen. Dieser Zeitpunkt entspricht der bereits erwähnten „Duration“ des Depots.

Im konkreten Fall des Anleiheanteils unserer Marktstrategie sind das eben die genannten dreieinhalb Jahre.

Nach diesem Zeitpunkt schlägt der positive Wiederanlageeffekt sogar stärker auf die Entwicklung des Depotwertes durch als die ursprünglich eingetretenen Kursverluste.

 

 

Konsequenzen für Anlegerinnen und Anleger

Was konkret bedeuten nun die beschriebenen Zusammenhänge für einen Anleiheinvestor bzw. eine Anleiheinvestorin? Zunächst einmal ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass sich die beschriebenen positiven Auswirkungen des Wiederanlageeffektes selbstverständlich nur dann entfalten können, wenn es auch etwas zum Wiederanlegen gibt.

Dies ist bei einzelnen Anleihen kaum der Fall, wohl aber im Rahmen eines wohldiversifizierten Anleihedepots.

Darüber hinaus ist der Effekt umso stärker, je besser das Depot über die unterschiedlichen Laufzeiten gestreut ist und je mehr Anleihen es umfasst, was beispielsweise im Rahmen unserer Vermögensverwaltung selbstverständlich gegeben ist.

Zudem haben viele unserer Kundinnen und Kunden einen Anlagehorizont, der weitaus länger ist als die genannten dreieinhalb Jahre der Duration unseres Anleiheanteils.

In solchen Fällen sind die Auswirkungen etwaiger Zinssteigerungen auf den Anleiheanteil insgesamt sogar positiv, weil der Wiederanlageeffekt die aktuellen Kursverluste letztlich überkompensieren wird.

Auch an dieser Stelle kommt somit einmal mehr der für die Geldanlage generell wichtige Faktor Geduld ins Spiel.

Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt daher das Falscheste, was man machen kann, aufgrund von teilweise kursierenden Panikmeldungen über weiter kräftig steigende Zinsen das Anleihedepot nun womöglich ganz aufzulösen oder den Anleiheanteil zu reduzieren.

Um ein Bild aus der Welt der Alpinisten zu bemühen: Dies ist mit einem Bergsteiger vergleichbar, der, nachdem er den schweißtreibenden Aufstieg fast hinter sich gebracht hat, kurz vor dem Gipfel ohne Not umkehrt und sich dadurch um einen überwältigenden Rundumblick bringt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Anleiheanteil im Rahmen unserer Marktstrategie: Die Durststrecke niedriger bzw. teils sogar negativer Zinsen liegt mit einiger Wahrscheinlichkeit endlich hinter uns.

Wer jetzt auf Anleihen verzichtet bzw. mit Kursverlust verkauft, bringt sich gewissermaßen um die Früchte der zinslosen Zeiten der letzten Jahre.

Neben der von uns immer wieder erwähnten Funktion einer Risikostellschraube und eines Sicherheitsankers im Rahmen eines gemischten, aus Aktien und Anleihen bestehenden Portfolios werden Anleihen unserer Ansicht nach in Zukunft auch wieder einen zwar überschaubaren, aber positiven Renditebeitrag erwirtschaften.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank

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