Aktienmärkte: Verpassen Sie nicht die Gegenbewegungen

Quirin Privatbank: Corona-Pandemie, zunehmende globale Spannungen – insbesondere zwischen China und den USA –, erstmals seit Jahrzehnten wieder ein Krieg auf europäischem Boden und zuletzt eine erschütternde Naturkatastrophe in der Türkei und Syrien.

Es ist folglich keine Übertreibung, wenn man insbesondere die letzten beiden Jahre als entsetzlich und bedrohlich bezeichnet.

Auch aus Sicht von Anlegerinnen und Anlegern war insbesondere 2022 eines der schlechtesten Jahre der jüngeren Vergangenheit.

Nahezu alle Segmente der (liquiden) Anlagemärkte – mit Ausnahme des Rohstoffsektors – mussten herbe Verluste zwischen knapp 10 und gut 20% hinnehmen (siehe nachfolgende Übersicht).

Besonders auffällig hierbei: Auch die 10-jährige deutsche Bundesanleihe musste einen deutlichen Verlust einstecken.

Eigentlich als unerschütterlicher Fels in der Brandung turbulenter Kapitalmärkte gedacht, büßte sie über 21% (!) im Kurs ein.

 

 

Rund 27% Verlust in 2022

Eine Meldung hat uns im Zusammenhang mit dem Anlagejahr 2022 in den letzten Tagen aber besonders aufhorchen lassen:

Laut einer Untersuchung von Vanda-Research fuhren US-Privatanlegerinnen und -anleger, welche ihre Wertpapierdepots in Eigenregie betreuen – beispielweise mittels großer Online-Broker wie Trade Republic oder Robinhood –, im Jahr 2022 und einschließlich Januar 2023 durchschnittliche Verluste in Höhe von rund 27% ein.

Vanda ist ein weltweit tätiges, unabhängiges Research-Unternehmen, das Makro- und strategische Investmentanalysen erstellt. Auch wenn sich die erwähnte Studie explizit auf den US-Markt bezieht, trifft sie unseren Erkenntnissen zufolge auch auf europäische und deutsche Verhältnisse zu.

Hier stellt sich nun zwangsläufig die Frage, wie das zusammenpasst: einerseits Märkte, die „nur“ zwischen rund 10 und 20% verloren haben, und andererseits noch deutlich höhere Verluste in den „Eigenregie-Depots“.

Nach allem, was wir über typisches Anlageverhalten wissen, liegt die Antwort auf der Hand: Es sind in erster Linie überstürzte Ad-hoc-Anlageentscheidungen, die in der Regel stark emotional getrieben sind, welche die Wertentwicklung massiv beeinträchtigt haben.

Im Ergebnis führte dies zu Verlusten, welche die ohnehin schlechte Marktentwicklung noch weit übertrafen.

Immer wenn konkrete Anlageentscheidungen anstehen, geht es im Kern um zwei Fragen:

  1. In welche Finanzinstrumente – insbesondere welche Aktien – soll investiert werden
  2. Wann genau soll man denn investieren (sprich: einsteigen) und wann man wieder aussteigen

 

 

Emotional getriebene Aktienauswahl

Die eigentlich richtige und bewährte Vorgehensweise, Aktien dergestalt auszuwählen, dass damit eine möglichst breite Abdeckung des gesamten (globalen) Marktes erreicht wird, findet sich unter privaten Anlegerinnen und Anlegern, die ihre Investments in Eigenregie tätigen, so gut wie nie.

Stattdessen ist die konkrete (Aktien-)Auswahl oft sehr stark von aktuellen Trends und „heißen“ Investmentstorys geprägt, die schnelle Kursgewinne verheißen.

Sind beispielsweise Technologieaktien in aller Munde, wie dies vor 2022 der Fall war, dann kann man recht sicher davon ausgehen, dass genau dieses Segment in den „Do-it-yourself-Depots“ überproportional stark enthalten ist.

Tatsächlich waren – wie auch wir beobachtet haben – viele Privatdepots zuletzt sehr stark mit Technologiewerten bestückt. Gerade diese Werte sind jedoch 2022 in einem Ausmaß unter die Räder gekommen, das die durchschnittlichen Verluste des breiten Aktienmarktes weit übertroffen hat (siehe nachfolgende Übersicht).

Damit sollte zumindest teilweise nachvollziehbar sein, warum auch die durchschnittlichen Verluste von Wertpapierdepots in Eigenregie deutlich höher waren als die des breiten Marktes.

 

 

Emotional getriebene Aus- und Einstiegsentscheidungen

Übermäßige Klumpenrisiken in speziellen und besonders angesagten Marktsegmenten sind jedoch nur eine Ursache, warum die Wertentwicklung vieler Privatanlegerdepots 2022 derart weit hinter der der entsprechenden Märkte lag.

Eine weitere Ursache für diese Malaise – vielleicht sogar die gewichtigere – ist das sogenannte „Market Timing“. Hierbei handelt es sich um den Versuch, die Wertentwicklung zu steigern, indem man vor einem Rückgang der Kurse – oder im Extremfall vor einem Crash – rechtzeitig aussteigt, sich dadurch die drohenden Verluste erspart, um dann – kurz bevor es wieder aufwärtsgeht – rechtzeitig erneut einzusteigen. So weit die graue Theorie.

Noch viel mehr als die konkrete Titelselektion ist die Entscheidung, wann in einen Markt ein- und wann wieder ausgestiegen werden sollte, von Emotionen geprägt.

 

 

Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von einem „psychologischen Investmentzyklus“. Dieser ist in der nachfolgenden Grafik schematisch dargestellt und beschreibt im Wesentlichen das folgende Verhaltensmuster: Angelockt von steigenden Kursen steigen immer mehr in den Markt ein und die Aktienquoten werden spürbar aufgestockt.

Geben die Märkte dagegen kräftig nach, wird panikartig verkauft, um (vermeintlich) noch Schlimmeres zu verhindern.

Da in solchen Korrekturphasen auch die allgemeine Nachrichtenlage in der Regel sehr düster ist, wird der rechtzeitige Wiedereinstieg vor einer einsetzenden Erholung so gut wie immer verpasst.

Das Ergebnis dieses fast schon gesetzmäßig ablaufenden Anlageverhaltens zeigt sich beim Blick in die Börsenhistorie: In Zeiten, in denen die Kurse Höchststände erklommen haben und kurz vor einem Rückgang stehen, sitzen die meisten Privatanlegerinnen und -anleger auf hohen Aktienbeständen.

In Tief- und Wiederaufschwungsphasen dagegen sind nur wenige investiert.

 

 

Das in der Grafik schematisch skizzierte Ein- und Ausstiegsverhalten hat sich auch im Jahr 2022 geradezu lehrbuchhaft gezeigt: Nachdem die Kurse weltweit in den ersten drei Quartalen massiv unter Druck geraten waren, sind viele entnervt nach und nach ausgestiegen.

Die extrem schlechte Nachrichtenlage (Lieferkettenproblematik, drohende Rezession und hohe Inflation, Zinswende, Ukraine-Krieg, Abschottung Chinas usw.) hat sie dann aber meist davon abgehalten, zu Beginn des letzten Quartals des Jahres 2022, in dem die bis dahin kräftigen Kursverluste teilweise wettgemacht wurden, wieder einzusteigen.

Diese Beobachtung deckt sich auch mit einer Auswertung des Online-Brokers Robinhood, der zufolge die Wertpapierumsätze im Januar 2023 – einem Monat mit kräftigen Aufholbewegungen – mit am niedrigsten waren.

Dazu passt: Charles Schwab – ebenfalls ein amerikanischer Broker, der sich auf Privatdepots spezialisiert hat – meldete für Januar 2023 sogar die geringste Zahl täglicher Transaktionen seit drei Jahren.

Im Ergebnis werden durch dieses (Market-Timing-)Verhalten aufgelaufene Verluste zementiert und zugleich die Chance zunichte gemacht, an einer (kräftigen) Markterholung – die nicht selten völlig überraschend und mit hoher Dynamik einsetzt – zu partizipieren.

Kein Wunder also, dass am Ende die Wertentwicklung in den Do-it-yourself-Depots deutlich schlechter ist als an den Märkten selbst.

 

 

Fazit: die wichtigste Lehre aus dem Anlagejahr 2022

Das für die Wertentwicklung so schädliche, emotional getriebene Anlageverhalten (Einzelaktieninvestments, Market-Timing), das sich auch 2022 so lehrbuchhaft gezeigt hat, ist keine Ausnahme, sondern die Regel.

Insgesamt verläuft dadurch die Wertentwicklung von in Eigenregie betreuten Depots systematisch schlechter als die des entsprechenden Marktes.

Einmal mehr hat sich im zurückliegenden Jahr gezeigt, dass es – neben vielen „handwerklichen“ Aspekten des professionellen Anlagemanagements (wie breite Streuung, Prognosefreiheit, Kostenaspekte) – letztlich zwei Faktoren sind, die den Anlageerfolg sicherstellen: eine sorgfältig gewählte und auf die Anlegerin bzw. den Anleger zugeschnittene Anlagestrategie sowie der Wille und die Fähigkeit, diese Strategie auch in kritischen Marktphasen beizubehalten.

Ruhe und Geduld zahlen sich auch an der Börse aus.

Emotionen dagegen – so erfreulich sie auch in anderen Zusammenhängen sein können – sind ernst zu nehmende Stolpersteine auf dem Weg zum langfristigen Anlageerfolg.

Dies ist – nebenbei bemerkt – der Grund dafür, warum eine Vermögensverwaltung auch für kleinere Vermögen durchaus sinnvoll ist: Gefühlsmäßige und spontane Ad-hoc-Entscheidungen der jeweiligen Anlegerin bzw. des jeweiligen Anlegers werden hierbei vertraglich ausgeschlossen.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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