Entspannung an der Inflationsfront?
Ausgehend von einem ohnehin schon erhöhten Niveau zog sie in den Folgemonaten dynamisch an.
Seit Ende letzten Jahres hat sich dieser Trend umgekehrt und die aktuellen Schnellschätzungen für den Monat März deuten an, dass sich diese Trendumkehr weiter verfestigt.
In Deutschland sank die auf Grundlage des Verbraucherpreisindexes ermittelte Inflation von 8,7% im Februar auf nunmehr 7,4%, gemessen jeweils gegenüber dem Vorjahresmonat.
In der Euro-Zone gab sie sogar von 8,5% auf 6,9% nach. In Deutschland ist das der geringste Wert seit letztem August, in der Euro-Zone gar seit Februar 2022.
Wir möchten an dieser Stelle einen genaueren Blick hinter diesen grundsätzlich erfreulichen Trend werfen und beleuchten, wie diese Entwicklung im Detail zustande gekommen ist und ob sich daraus etwas für die künftige Preisentwicklung ableiten lässt.
Deutliche Unterschiede bei einzelnen Preisen
Grundsätzlich tragen Waren und Dienstleistungen jeweils rund die Hälfte zur Inflationsrate bei. In letzter Zeit trieben vor allem die Preise für Lebensmittel und Energie, die zur Gruppe der Waren zählen, die Inflation nach oben. Hier zeigen sich nun im März folgende Besonderheiten:
- Die Lebensmittelpreise, die in Deutschland einen Anteil von 10,5% an der Inflationsrate haben, sind mit 22,3% nochmals ähnlich stark gestiegen wie bereits in den Vormonaten.
- Die Energiepreise dagegen, mit einem Gewicht von 7,4%, haben im März 2023 gegenüber März 2022 nur noch um 3,5% zugelegt, nachdem sie in den letzten Monaten noch jeweils um rund 20% angestiegen waren.
In der Euro-Zone ist die Entwicklung in der Tendenz ähnlich, wobei die Anteile der Lebensmittel- und Energiepreise an der Inflationsrate mit 20% bzw. 10,2% deutlich höher sind als in Deutschland mit 10,5% bzw. 7,4%.
- Der Lebensmittelpreisanstieg im März war in Europa mit 15,4% ähnlich wie bereits in den Vormonaten.
- Die Energiepreise allerdings waren mit -0,9% sogar rückläufig. Noch in den Vormonaten lagen die Preiszuwächse im Bereich zwischen 14 und 26%.
Während also die Lebensmittelpreise nach wie vor bedenklich stark steigen, sieht es bei den Energiepreisen fast schon nach einer Vollbremsung aus. Letzteres basiert auf verschiedenen Effekten:
- Die Energiekrise hat sich abgeschwächt. Die Sorgen vor kriegsbedingten Engpässen sind deutlich geringer geworden. Das hat die Rohstoff- und Energiepreise insgesamt beruhigt und insbesondere auch zu sinkenden Gaspreisen und geringeren Ausgaben an den Zapfsäulen geführt.
- In vielen Euro-Ländern gab es staatliche Eingriffe zur Dämpfung der Energiepreise, in Deutschland zum Beispiel die Gaspreisbremse, was sich ebenfalls günstig auf die Inflationsentwicklung auswirkt.
- Ganz grundsätzlich inflationsdämpfend – wenn auch in den verschiedenen Sektoren unterschiedlich stark – wirkt der statistische Basiseffekt. Er resultiert daraus, dass für die Berechnung der Inflationsrate jeweils die Preise des aktuellen Monats mit denen des Vorjahresmonats verglichen werden. Just vor einem Jahr sind aber vor allem die Energiepreise kriegsbedingt sehr stark angestiegen. Die Preisvergleichsbasis hat sich also ungefähr ab März 2022 deutlich erhöht. Das wird die Steigerungsraten in den vor uns liegenden Monaten nun tendenziell geringer ausfallen lassen – mit entsprechend dämpfender Wirkung auf die Gesamtinflationsrate.
Im Dienstleistungsbereich, in dem Löhne eine wichtige Rolle spielen, zeigte sich im März – so wie bei den Lebensmitteln – wenig Veränderung. Sowohl in Deutschland als auch in der gesamten Euro-Zone zogen die entsprechenden Preise im März um rund 5% gegenüber März 2022 an – ein ähnliches Bild wie in den Vormonaten.
Kerninflation bleibt hartnäckig
Insgesamt ist der aktuelle Inflationstrend erfreulich, wenngleich er nicht frei von Problemen ist. Das verrät der Blick auf die sogenannte Kerninflation. Bei dieser speziellen Inflationsberechnung werden die meist sehr schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel ausgeklammert.
Während höhere Inflationsraten vorübergehend von der Entwicklung der letztgenannten Preise verzerrt sein können, gibt die Kernrate der Inflation ein realistischeres Bild der zugrundeliegenden Inflationsdynamik ab.
In der Euro-Zone lag die Kerninflation im März laut Vorabschätzung bei 5,7%, nach 5,6% im Februar. Für Deutschland wird im Rahmen der Schnellschätzung keine Kernrate veröffentlicht, die Tendenz dürfte hier aber im März ähnlich gewesen sein, der Februar-Wert lag bei 5,7%.
Auch die Veränderungsrate, die die Preisentwicklung im unmittelbaren Monatsvergleich misst, ist ein Zeichen einer nach wie vor noch nicht gebrochenen Inflationsdynamik.
Mit 0,8% in Deutschland bzw. 0,9% in der gesamten Euro-Zone lagen die Werte im März im Vergleich zum Februar dieses Jahres nach wie vor noch recht deutlich über dem Durchschnittswert der letzten fünf Jahre von rund 0,3%.
EZB bleibt kämpferisch
Die noch relativ hartnäckige Kerninflation dürfte dazu beitragen, dass die EZB ihren Zinserhöhungskurs zur Inflationsbekämpfung vermutlich weiter fortsetzen wird. Zuletzt hatte die Notenbank den Leitzins Mitte März um weitere 0,5% auf 3,5% erhöht.
Vor dem Hintergrund einer insgesamt rückläufigen Inflationstendenz, die letztlich auch die Kerninflation dämpfen wird, gehen wir aber trotzdem davon aus, dass der Zinserhöhungszyklus im Jahresverlauf endet.
Schon der nächste Zinsschritt im Mai könnte mit geschätzten 0,25 Prozentpunkten geringer ausfallen als die jüngsten 0,5 %-Schritte.
Ein Blick nach vorn
Die Ökonominnen und Ökonomen der Europäischen Zentralbank selbst gehen aktuell von einer durchschnittlichen Inflation im Euro-Raum von 5,3% für 2023 aus. Für 2024 und 2025 projizieren sie eine Preissteigerung von 2,9 bzw. 2,1% und damit schon in ca. zwei Jahren wieder eine Rückkehr zum Normalmaß, sprich dem EZB-Inflationsziel von 2%.
Auch wir gehen davon aus, dass sich der Inflationstrend in den nächsten Monaten weiter abschwächen wird. Vor allem der Basiseffekt dürfte seine Wirkung weiter entfalten – nicht nur im Energiebereich, wo er sich bereits deutlich gezeigt hat. Zudem sollten auch die tendenziell weiter abnehmenden Lieferkettenprobleme der Unternehmen preisdämpfend wirken.
Entscheidend dafür, wie es an der Inflationsfront weitergeht, ist sicherlich auch die Lohnentwicklung. In Deutschland stehen derzeit besonders die relativ hohen Forderungen von über 10% von ver.di und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Fokus. Es gibt allerdings auch eine Reihe von Branchen, die hier deutlich defensiver agieren.
Jüngste Unternehmerumfragen gehen für dieses Jahr überraschenderweise von durchschnittlichen Lohnsteigerungen im Bereich von lediglich 5% aus. Ob sich das als eine zu optimistische Schätzung erweisen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, in welchem Ausmaß die unter Umständen sehr hohen Abschlüsse bei ver.di und EVG richtungweisend für die übrigen Branchen sein werden.
In der Hinsicht kann man nur hoffen, dass auch bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt wird, dass wir es bei der aktuellen Inflation eben nicht mit auf Dauer angelegten Preissteigerungen zu tun haben, sondern mit dem Ergebnis eines Angebotsschocks, der auch wieder abebben wird.
Insofern sind Verhandlungsergebnisse speziell dann zu begrüßen, wenn sie als „Inflationsentschädigung“ (je nach Einkommen unterschiedlich hohe) Einmalzahlungen vorsehen anstatt pauschaler Lohnerhöhungen.
Der kritische Blick darf sich aber nicht nur auf die Löhne richten. Viele Unternehmen konnten im letzten Jahr gestiegene Einkaufspreise an die Kundschaft weiterreichen – manchmal auch über das notwendige Maß hinaus –, zugunsten der eigenen Gewinne und zulasten der Inflation.
Deutlich hat sich das beispielsweise in der Reisebranche gezeigt, wo die höheren Preise fast ohne Umsatzeinbußen an die Kunden weitergereicht werden konnten. Nach Corona wollten die Menschen einfach wieder reisen, buchstäblich „koste es, was es wolle“.
Die Preisüberwälzungsspielräume werden sich aber in Zukunft einengen, weil die Preistoleranz der Verbraucherinnen und Verbraucher langsam an ihre Grenzen kommen dürfte.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass die zu erwartenden Lohnabschlüsse im mittleren bis höheren einstelligen Bereich keine Lohn-Preis-Spirale auslösen werden.
Fazit
Auch nach den Zahlen der aktuellen Vorabschätzungen ist das Inflationsproblem noch nicht beseitigt. Insbesondere die nach wie vor stark ansteigenden Lebensmittelpreise sowie eine hartnäckige Kernrate sind belastend.
Der einsetzende Basiseffekt, verbesserte Lieferketten, nicht ausufernde Löhne und die stabilitätsorientierte EZB-Politik sollten aber dafür sorgen, dass sich nicht nur die „normale“ Inflationsrate deutlich zurückbildet, sondern letztlich auch die noch hartnäckige Kernrate.
Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank
Themen im Artikel
Infos über Quirin Privatbank AG
Die Quirin Privatbank AG wurde 2006 als erste Honorarberaterbank in Deutschland gegründet – mit der Mission, die Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Die Bank ist Spezialist für professionelle, individuelle Vermögensverwaltung und einen langfristigen Vermögensaufbau.
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