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Interview mit Holger Scholze zu den Aussichten für den Zertifikate-Markt

Interview mit Holger Scholze zu den Aussichten für den Zertifikate-Markt

David Ernsting, Herausgeber von Zertifikate-Test.de führte ein interessantes und aufschlussreiches Interview mit Holger Scholze, Derivate-Experte an der Börse Stuttgart über die Möglichkeiten, das Vertrauen in Zertifikate wieder zu stärken und einem Ausblick auf die aktuelle und zukünftige Lage der Finanzmärkte.

In unserem vorausgegangenen Interview mit den CFD-Brokern Flatex und CMC Markets, sprachen beide Interviewpartner davon, dass der CFD-Markt in Zukunft stark wachsen wird – vor allem auf Kosten des Zertifikate-Marktes. Können Sie diese Einschätzung teilen?

Holger Scholze: Nun ja. „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, soll schon Mark Twain gesagt haben. Dennoch würde ich der Einschätzung der beiden von mir sehr geschätzten Kollegen so nicht zustimmen.

Natürlich haben verbriefte Derivate und CFDs ihre Zielgruppen. Aber beide Produktformen unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten. Ob ein Anleger eher Hebelprodukte oder CFDs bevorzugt, hängt von seinem persönlichen Anlagehorizont, vor allem aber seiner Risikoneigung ab.

Meiner Ansicht nach mangelt es bei den CFDs noch an einer ausreichenden Vergleichbarkeit der Angebote. Und so manchen Anleger mag auch das Risiko abschrecken, mehr als den ursprünglich eingesetzten Anlagebetrag verlieren zu können und im schlimmsten Fall Geld nachschießen zu müssen. Um nur mal zwei Punkte zu nennen.

Bei Hebelzertifikaten schätzen viele Anleger dagegen zum Beispiel die Möglichkeit des Börsenhandels. Denn an der Börse greifen alle wichtigen öffentlich-rechtlichen Überwachungs-, Regulierungs- und Kontrollmechanismen.

Ich glaube, dass beide Formen ihre Berechtigung haben. Die Auswahlmöglichkeiten für die Investoren werden somit immer größer. Das finde ich gut, so lange wir alle nach Kräften dazu beitragen, die Anleger über die jeweiligen Produktmechanismen umfassend zu informieren.

Herr Brandau, Geschäftsführer des DDV (Deutscher Derivate Verband), sagte kürzlich in einem Interview mit “Zertifikate News”, dass die Emittenten erst einmal selber klären müssten, was sie tun, bevor sie es den Anlegern erklären können. Steht daher für 2009 eine große Transparenzoffensive an?

Holger Scholze: Im Sinne der Anleger ist ein gemeinsames, organisiertes und überlegtes Vorgehen der Emittenten natürlich sehr sinnvoll. Doch bereits jetzt bietet der DDV in Zusammenarbeit mit den Emittenten und den Börsen eine Reihe von Services an, die zur Transparenz des Marktes beitragen. Hierzu gehören die Standardisierung der Auszahlungsprofile und die Vereinheitlichung der Produktbezeichnungen. Anleger können zudem auf der Homepage des DDVs einsehen, wie effektiv Emittenten An- und Verkaufs-Kurse stellen und wie schnell Orders ausgeführt werden. Auch über deren Bonität können sich die Anleger beim DDV informieren. Und neben den Bonitäts-Ratings werden auch die Credit Default Swaps, also die Prämien für Kreditausfallversicherungen, ausgewiesen.

Wie könnten weitere Maßnahmen aussehen? Muss vielleicht auch die Anzahl der Zertifikate reduziert werden?

Holger Scholze: Zunächst einmal bin ich mir sicher, dass die Börse Stuttgart gemeinsam mit den Emittenten und allen Beteiligten weiterhin Kontakt zu den Kunden suchen wird. Denn es ist enorm wichtig, mit den Anlegern kontinuierlich und sachlich zu kommunizieren. Die vielen Messen, Roadshows, Börsentage und Seminare für Privatanleger und Anlageberater sind hierfür geeignete Wege.

Beim Thema Produktanzahl geht es im ersten Schritt wohl weniger um die Menge der Papiere, sondern vielmehr um die Erwartung der Anleger in Bezug auf bestimmte Märkte und Themen.

Sobald ein Anleger eine bestimmte Anlageidee verfolgt und sich eine Meinung zum jeweiligen Markt gebildet hat, reduziert sich die Anzahl der für diese Idee zur Verfügung stehenden Produkte meist sehr schnell. Zum Beispiel scheiden für einen risikoscheuen Privatanleger die Hebelprodukte praktisch schon einmal aus. Beschränkt er sich dann auf Garantieprodukte, wird das Angebot bereits wesentlich übersichtlicher. Hilfreich sind hierbei vor allem die Produkt-Finder im Internet. So ermöglicht die Website der Börse Stuttgart für die klar abgegrenzten Gruppen von verbrieften Derivaten, unabhängig von der Anzahl der gelisteten Produkte, eine sehr genaue Selektion.

Außerdem steht die Vielfalt der Produkte letztlich auch für zahlreiche Wahlmöglichkeiten. So können Anleger auch Zertifikate auf viele Einzeltitel, Währungspaare, Rohstoffe oder Märkte kaufen, zu denen sonst kein Zugang möglich wäre. Weitere Vorteile sind, dass die Anleger stets auf steigende oder fallende Preise spekulieren bzw. ihr Depot bei Bedarf absichern können. Darüber hinaus trägt sie zur fairen Preisbildung und besseren Vergleichbarkeit der Produkte bei.

Viele Anleger sind spätestens nach der Lehman-Pleite stark verunsichert, ob sie den Emittenten ihr Geld anvertrauen können. Wie kann man an dieser Stelle das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen? Sind Credit Spreads das Zauberwort?

Holger Scholze: Die Lehman-Pleite ist tragisch und war in vielerlei Hinsicht ein Schock für die Börsianer. Umso wichtiger ist es jetzt, die Lehren daraus zu ziehen.

In Bezug auf den Derivatehandel müssen Anleger noch besser und ausführlicher über die jeweiligen Produkte, ihre Funktionsweisen und Risiken informiert werden. Außerdem wäre hier eine rationale und faktenbasierte Berichterstattung wünschenswert. Wie bei Anleihen, besteht bei verbrieften Derivaten das Emittentenrisiko. Und Anleihen sind ein „Urprodukt“ der Finanzbranche, bei dem keiner auf die Idee käme, es zu verteufeln oder abschaffen zu wollen. Zertifikate sind auch unter Berücksichtigung aller Risiken – und dabei schließe ich das Emittentenrisiko ein – attraktive Anlageprodukte. Sie ermöglichen den Anlegern nicht nur, vom Kapitalmarkt zu profitieren, sondern auch, ihr investiertes Kapital ganz oder teilweise zu schützen – und das bei steigenden, seitwärts tendierenden und fallenden Kursen. Natürlich sollte die Bedeutung der Bonität im aktuellen Umfeld mehr denn je in den Fokus rücken. Credit Spreads helfen den Anlegern, die Bonität des jeweiligen Zertifikate-Emittenten richtig einzuschätzen.

Die IZA (Insitut für Zertifikate-Analyse) schätzt, dass fast die Hälfte aller Kaufentscheidungen von Bankberatern durchgeführt werden. Wie gut sind diese geschult? Was müsste sich hier ggf. ändern?

Holger Scholze: Eine Menge Berater sind über die Anlageklasse der verbrieften Derivate ausgesprochen gut informiert. Aber leider gibt es natürlich auch Berater, die sich selbst bisher weniger mit dem Thema beschäftigt haben. Jedem Anleger ist deshalb zu empfehlen, vorgelegte Unterlagen nur dann zu unterschreiben, wenn er sie zuvor gelesen und wirklich verstanden hat. Im Zweifel sollte er lieber noch einmal nachfragen oder sich anderswo Rat holen. Natürlich hilft auch die Börse Stuttgart dabei, die Anleger umfassend zu informieren. Dies ist wichtig, damit Investoren gut auf eine zu treffende Anlageentscheidung vorbereitet sind. Neben Seminaren und Schulungen für Privatanleger werden auch zahlreiche Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für Anlageberater organisiert. Außerdem informiert die Börse über alle Anlageklassen hinweg ausführlich im Internet. Und nicht zuletzt hoffe ich, dass auch unsere tägliche Fernsehberichterstattung ihren Beitrag zum besseren Verständnis der Mechanismen des Börsenhandels beiträgt.

Wie sehen momentan die Märkte aus? Haben wir den Boden bereits gesehen und blicken nun auf eine Jahresendrallye? Oder geht’s nochmal richtig runter?

Holger Scholze: Je weniger wir darüber reden, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Jahresendrallye. Es wäre aber vielleicht gar nicht so gesund, wenn es so schnell zu einer wirklichen Rallye käme. Mir würde es genügen, wenn sich der DAX bis zum Jahresende im Bereich der 5.000-Punkte-Marke stabilisieren könnte. Dies wäre eine gute Basis für das kommende Jahr.

Ich glaube, dass wir die Tiefstkurse im Oktober gesehen haben. Ein alter Börsenspruch lautet: „Die Hausse stirbt in der Euphorie und die Baisse stirbt in der Panik.“ Was wir im Oktober an den Börsen erlebt haben, war extrem. Da wurden aus Angst viele irrationale Entscheidungen getroffen. Und tausende Anleger brauchten schlicht und einfach Geld, um andere Forderungen begleichen zu können.

Wie sieht denn dann Ihr Ausblick auf 2009 aus?

Holger Scholze: Sicherlich wird es auch im kommenden Jahr eine Reihe schlechter Unternehmenszahlen und Konjunkturdaten geben. Vieles davon ist aber bereits heute in den Kursen enthalten. Denn an der Börse wird nun mal die Zukunft gehandelt. Die Nervosität der Märkte, die sich vor allem in der hohen Volatilität niederschlägt, könnte uns aber noch eine Weile beschäftigen. Nach den vergangenen Monaten wäre es für die langfristige Entwicklung von Vorteil, wenn sich der DAX erst einmal im Bereich von 5.500 Punkten einpendeln könnte. Aber die Börse ist nun mal kein Wunschkonzert. Bestimmt wird es wieder ein aufregendes und spannendes Börsenjahr, auf das ich mich schon jetzt freue.

Herr Scholze, vielen Dank für das interessante Interview!

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