Säkulare Stagnation: Nachwirkungen der Finanzkrise

Vontobel: Jede Wirtschaftskrise löst Ängste aus, das Wachstum könnte sich verlangsamen oder ganz zum Erliegen kommen. Als Reaktion auf die Grosse Depression der 1930er Jahre setzte Franklin D. Roosevelt in den USA den sogenannten New Deal durch. Dieses Staatsprogramm erwies sich als Erfolg.

 

Heutzutage könnten ähnliche Investitionen in die Infrastruktur der schleppenden Erholung seit der Finanzkrise im Jahr 2008 Auftrieb verleihen. Neue Technologien könnten hierbei eine Schlüsselrolle spielen.

Der Begriff «säkulare Stagnation» wurde 1938 von Alvin Hansen geprägt, einem Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard University und Berater der US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Harry Truman. Darunter verstand der Autor eine geringe Investitionstätigkeit, verursacht unter anderem durch den Einbruch der Immigration in die USA.

 

Beinahe 80 Jahre später sprach der Starökonom Larry Summers in einer Rede vor dem Internationalen Währungsfonds (IWF) von säkularer Stagnation als einem Zustand, in dem schleppendes Wachstum den Normalzustand der Wirtschaft darstellt. Als Folge davon müssen Zentralbanken mit einer anhaltenden und massiven Lockerung der Geldpolitik die mangelnde Nachfrage ausgleichen.

 

Geringe Produktivität und Demografie als Grundursachen
Befinden wir uns also in einer säkularen Stagnation, da wir die Nachwirkungen der jüngsten Finanzkrise nicht abschütteln können? Zweifelsohne ist keine Erholung seit dem zweiten Weltkrieg so träge verlaufen wie die jetzige. Sowohl das nominale als auch das reale Wirtschaftswachstum bleiben hinter den historischen Vergleichswerten zurück (siehe Grafik 1).

Betrachten wir die Gründe für diese Entwicklung etwas genauer. Zweifellos stellen ungünstige demografische Entwicklungen wie eine alternde Bevölkerung eine Belastung der Wirtschaft dar. Gegenmassnahmen wie längere Arbeitszeiten, ein höheres Rentenalter oder ein höherer Anteil erwerbstätiger Frauen können hier teilweise Abhilfe schaffen.

 

Ausschlaggebend für eine anhaltende wirtschaftliche Expansion ist jedoch das Produktivitätswachstum. Die Produktivität versteht sich als die Menge an Gütern und Dienstleistungen, die pro Arbeitsstunde produziert werden. Auf ihr basiert unser Wohlstand und unsere Fähigkeit, Vermögen zu schaffen.

Grafik 1: Gegenwärtiger Aufschwung in den USA historisch gesehen unter den schwächsten

Reales BIP in Erholungsphasen (Ende der Rezession = 100)

Aufschwung USA seit Q1 2009
Quelle: Bureau of Economic Analysis, National Bureau of Economic Research, Thomson Reuters Datastream, Vontobel

Wo stehen wir in dieser Beziehung heute? Die Produktivitätssteigerung hat seit der Finanzkrise von 2008, die mit der Insolvenzerklärung von Lehman Brothers ausbrach, stark abgenommen (siehe Grafik 2, OECD-Daten). Die Produktivitätssteigerung betrug zwischen 1999 und 2006 jährlich insgesamt 2.9 Prozent in den USA und 1.9 Prozent in der Europäischen Union.

 

Zum Vergleich: 2016 betrug dieser Wert 0.5 Prozent in den USA und 0.8 Prozent in der EU (gemäss Daten des «Conference Board»-Instituts).

 

Infrastrukturausgaben als potenzielle Impulsgeber
Der Hauptgrund für diese ungünstige Entwicklung sind unzureichende Infrastruktur-, Bildungs- und Investitionsausgaben sowie eine beträchtliche Alterung der Anlagenbestände. Es wurden natürlich Anstrengungen unternommen, um dieser Entwicklung entgegenzuhalten – man denke an die Wahlkampfversprechen Donald Trumps und die Aufforderung der IWF-Chefin Christine Lagarde an die Bundesregierung, die deutschen Exportüberschüsse in Infrastruktur zu investieren.

 

Es bleibt zwar abzuwarten, ob Massnahmen zur Steigerung der Infrastrukturausgaben in den USA und der EU tatsächlich umgesetzt werden; es besteht jedoch wenig Zweifel daran, dass wir uns in einem Zyklus von Investitionsausgaben befinden, der den Grundstein für eine höhere Produktivität legen sollte.

 

ngesichts niedriger Zinsen und eines abnehmenden Spielraums am Arbeitsmarkt werden Anreize für Unternehmen, ihre Anlagenbestände zu verjüngen, zunehmen. Dadurch sollte die Produktivität im «Westen» auf jährlich etwa 1.5 Prozent steigen. Dies liegt zwar deutlich unter dem Niveau vor 2006, aber über den Werten der letzten zehn Jahre und deutlich über den gegenwärtig niedrigen Konsenserwartungen.

Grafik 2: In Industrieländern geht das Produktivitätswachstums seit Langem zurück

BIP pro Arbeitsstunde (Veränderung in Prozent im Vorjahresvergleich*)

BIP pro Arbeitsstunde
* Zu konstanten Preisen, fünfjähriger gleitender Durchschnitt
Quelle: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Vontobel

Technologie kommt zur Rettung
Die jüngste Finanzkrise hat das Vertrauen in das kapitalistische System und die Fähigkeit von Institutionen und Entscheidungsträgern, ein ungünstiges Ergebnis zu verhindern, untergraben. Kein Wunder also, dass manche die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgeben.

 

Doch auf die «säkulare Stagnation» – ein Thema, das nach jeder schweren Krise aufkommt – folgt in der Regel eben auch ein Aufschwung bei der Produktivität. Pessimisten unterschätzen oft das Potenzial bestehender Technologien. Wir sind davon überzeugt, dass das sogenannte Internet der Dinge, die Fortschritte in der Robotik und künstliche Intelligenz bald einen Beitrag zu einer besseren Zukunft leisten werden.

 

Nach Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, Autoren des Buches «This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly» (2011), braucht die Wirtschaft zehn Jahre, um sich vollständig von den Auswirkungen einer schweren Finanzkrise zu erholen. Nun, hier wären wir.

 

Bedeutung von Produktionssteigerungen für die Märkte
Der auf lange Sicht entscheidende Faktor für das Gleichgewichtsniveau bei realen Zinssätzen ist das Produktivitätswachstum. Aus diesem Grund ist im Lauf der Zeit von tendenziell höheren Realzinsen auszugehen, was für Staatsanleihen aus Kernländern, Unternehmensobligationen mit der höchsten Bewertung oder Gold keine guten Nachrichten sind.

 

Bessere Aussichten für das Produktivitätswachstum würden es Zentralbanken erlauben, ihre Geldpolitik allmählich zu normalisieren. Für Aktien könnte dies günstig sein, sofern die Unternehmensgewinne ebenfalls zulegen.

Autor: Christophe Bernard

 

 

 

 

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