Schwellenländer: Warum der Dollar die Richtung vorgibt

Nach Jahren gedämpfter Erwartungen beginnt sich das Bild für die Schwellenländer wieder zu drehen. Mehrere makroökonomische Faktoren sprechen dafür, dass diese Volkswirtschaften vor einer Phase relativer Stärke stehen könnten. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die Entwicklung des US-Dollar, der für Finanzierungsbedingungen, Kapitalströme und Währungsrelationen in dieser Ländergruppe eine zentrale Rolle spielt.

Der Zusammenhang ist historisch klar: Ein starker Dollar zieht Kapital in die USA und belastet jene Volkswirtschaften, die im internationalen Finanzsystem in hohem Maß auf globale Liquidität angewiesen sind. Schwellenländer gehören traditionell dazu. Steigt der Wert des Dollar, verteuern sich Finanzierungskosten, die Rückzahlung von Dollarkrediten wird anspruchsvoller, und die eigenen Währungen geraten unter Druck. In Phasen eines starken Dollar waren deshalb auch die Renditen der Schwellenländerbörsen regelmäßig schwach.

In Phasen eines fallenden Dollar kehrt sich dieses Muster um. Niedrigere Dollarwerte erleichtern die Finanzierung, Kapital fließt verstärkt in andere Regionen, und die in vielen Ländern lange Zeit unter Druck stehenden Währungen gewinnen an Stärke. Die Aufwertung wirkt nicht nur über Wechselkurseffekte auf die Vermögenswerte, sondern entfaltet wirtschaftliche Folgen: Importpreise sinken, die Inflation lässt nach, und Zinssenkungen werden möglich.

Das wiederum belebt Kreditvergabe, Konsum und Investitionstätigkeit. In der Vergangenheit entstanden in solchen Phasen regelmäßig Aufwärtszyklen, die über mehrere Jahre anhielten und die Grundlage für überdurchschnittliche Aktienrenditen bildeten.

Aktuell zeigt der Dollar erneut Anzeichen einer strukturellen Schwäche gegenüber Jahresbeginn. Das fällt in eine Phase, in der viele industrielle Anleger über Jahre hinweg eine deutliche Untergewichtung in Schwellenländern aufgebaut haben. Gleichzeitig sind sie in den vergangenen Jahren stark in US-Wachstumsaktien engagiert – einer Anlageklasse, deren relative Stärke eng mit der Dollardominanz der vergangenen Dekade verknüpft war. Dreht sich diese Entwicklung, müssten viele internationale Portfolios korrigiert werden.

Aus Sicht der Kapitalmärkte würde dies bedeuten, dass Teile der Gelder, die bislang in die großen US-Technologiewerte geflossen sind, in stärker diversifizierte Regionen umgelenkt werden. Schwellenländer würden davon direkt profitieren.

 

Erholung der Schwellenländerwährungen

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der jeweiligen Landeswährungen. Viele Schwellenländerwährungen haben zuletzt an Wert gewonnen, teilweise nach Jahren deutlicher Unterbewertung. Diese Erholung verstärkt die positiven Effekte der Kapitalzuflüsse.

Eine aufwertende Währung bremst importierte Inflation. Sie entlastet die Verbraucherpreise, und sie erleichtert den Notenbanken, zuvor sehr restriktiv gesetzte Zinsen wieder zu senken. In Ländern wie Brasilien, wo sich die Terms of Trade in den vergangenen Jahren spürbar verbessert haben, blieb die Landeswährung lange erstaunlich schwach.

Genau in dieser Diskrepanz liegt ein wesentlicher Teil des aktuellen Potenzials: Die Kombination aus einer aufholfähigen Währung, niedrigen Bewertungen am Aktienmarkt und verbesserten Finanzierungsbedingungen schafft ein attraktives Ausgangsniveau, das in dieser Form selten ist.

 

Chinesische Aktienmärkte entwickelten sich besser

Über der gesamten Region steht jedoch weiterhin die Frage nach der konjunkturellen Entwicklung in China. Die Volksrepublik weist eine Sonderstellung auf: Das Land verfügt über eine geschlossene Kapitalbilanz, sodass internationale Kapitalflüsse die wirtschaftliche Dynamik weniger direkt bestimmen als in den meisten anderen Schwellenländern. Stattdessen wirken innenpolitische Entscheidungen stärker.

Seit der Pandemie haben strengere Eingriffe in den Privatsektor und eine gedämpfte Investitionstätigkeit das Wachstum belastet. Das Kreditwachstum hat sich verlangsamt, der Güterverkehr liegt unter dem Vorjahresniveau, und die Immobilienkrise wirkt fortdauernd. All dies spricht für eine anhaltend moderate Konjunktur.

Gleichzeitig haben sich die chinesischen Aktienmärkte in diesem Jahr besser entwickelt als die makroökonomische Lage vermuten lässt. Vor allem Technologie- und Festlandtitel konnten zulegen, gestützt durch die Erwartung verstärkter konjunkturpolitischer Maßnahmen.

In den vergangenen Jahren sind vermehrt Anleihen in Renminbi emittiert worden, nicht nur in asiatischen Staaten, sondern auch in europäischen Ländern. Zudem ersetzen immer mehr Emittenten Dollar-Schulden durch Verbindlichkeiten in Renminbi. Der chinesische Anleihemarkt weist steigende Volumina und wachsende Liquidität auf, was Beijing langfristig eine größere Rolle im internationalen Finanzsystem verschaffen könnte.

Diese strukturellen Verschiebungen verändern die Ausgangslage für die gesamte Region. Ein möglicher geldpolitischer Stimulus in China hätte nicht nur Auswirkungen auf die chinesische Binnenwirtschaft, sondern auch auf Rohstoffmärkte und Handelspartner in anderen Schwellenländern.

Gleichzeitig würde eine nachhaltige Schwächung des Dollar die festeren Währungen vieler Schwellenländer weiter unterstützen, die Inflation dämpfen und geldpolitischen Spielraum schaffen.

 

Fazit

Insgesamt entsteht ein Umfeld, das Schwellenländern in mehrfacher Hinsicht entgegenkommt: günstigere Finanzierungsbedingungen durch einen schwächeren Dollar, Aufwertungspotenzial bei zahlreichen Landeswährungen, moderat bewertete Aktienmärkte und die Perspektive zusätzlicher konjunkturpolitischer Impulse aus China.

Die vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass solche Konstellationen selten sind, aber wenn sie eintreten, oft den Beginn längerer Aufwärtsphasen markieren. Vor diesem Hintergrund könnte die Region vor einem neuen Kapitel ihrer Kapitalmarktgeschichte stehen – nicht als spekulativer Hoffnungsträger, sondern als solide Alternative in einer Welt, in der sich globale Kräfteverhältnisse wieder verschieben.

 

Marktkommentar von James Syme, Senior Fund Manager der Global Emerging Markets Opportunities Strategy bei J O Hambro

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