Argentinien: Die Kettensäge zeigt erste Erfolge

Anfang Dezember 2024 hatten wir uns im Rahmen des Logbuchs erstmals mit dem charismatischen argentinischen Präsidenten Milei beschäftigt, der mit einer brachialen Radikalkur sein Land wieder auf Kurs bringen will . Wie hat sich das viel beachtete Milei-Experiment seither weiterentwickelt?

 

Das Wichtigste in Kürze

  • Kaum zwei Jahre im Amt, kann Argentiniens Präsident Milei spektakuläre Anfangserfolge vorweisen.
  • Die Inflation sinkt markant, die Konjunktur zieht spürbar an und das tiefrote Haushaltsdefizit hat sich in einen Überschuss verwandelt.
  • Die Erfolge zeigen allerdings wenig erfreuliche Nebenwirkungen.
  • Zumindest in Teilbereichen liefert das argentinische Experiment auch für Deutschland interessantes Anschauungsmaterial.

 

Der „Spinner“ wird salonfähig

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der argentinische Präsident Javier Milei von vielen als eine Art Trump-Verschnitt bzw. als Spinner mit der Kettensäge und wilder Frisur abgetan. Zwar kokettiert Milei noch immer mit dem Image des unorthodoxen Staatsführers, allerdings hat er mittlerweile auch einige erstaunliche Erfolge vorzuweisen.

Folglich sind die kritischen und spöttischen Stimmen zwar nicht gänzlich verstummt, aber doch deutlich weniger und leiser geworden.

 

Argentinien bei Mileis Amtsantritt: ein heruntergewirtschaftetes, korruptes Land

Zu Beginn von Mileis Amtszeit (Ende 2023) befand sich Argentinien in einem desolaten Zustand. Eine korrupte Politikerkaste und die mit ihr verbündeten übermächtigen Gewerkschaften hatten Argentinien – bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts übrigens eines der wohlhabendsten Länder weltweit – immer wieder an den Rand des Abgrunds geführt (und sogar darüber hinaus).

Folge: Ein Staatsbankrott jagte den nächsten. Den verantwortlichen Politikern fiel jahrzehntelang nichts Besseres ein, als die explodierenden Staatsschulden mit frisch gedrucktem Geld, sprich mit einer heiß laufenden Notenpresse zu bekämpfen.

Die Folgen jahrzehntelanger Misswirtschaft: eine galoppierende Inflation, ineffiziente Staatsbetriebe, ein hochdefizitäres Rentensystem, eine hohe Armutsquote, munter wachsende Staatsschulden und eine Notenbank, der immer wieder die Devisenreserven ausgingen und die daher beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ständig um neue Kredite betteln musste.

 

Erste Erfolge: Inflation runter – Wirtschaftswachstum rauf

Präsident Milei hat dem hoch verschuldeten Land als Erstes ein radikales Reform- und Sparprogramm verordnet – symbolisiert durch eine Kettensäge. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Milei entließ Tausende Staatsbedienstete, kürzte rigoros staatliche Subventionen und beendete die Finanzierung öffentlicher Ausgabenprogramme via Notenpresse.

In der Folge gelang es ihm, die Inflation deutlich zu senken und die Wirtschaft anzukurbeln.

Bei seiner Amtsübernahme hatte Argentinien mit einem monatlichen Wert von 25% eine der höchsten Inflationsraten weltweit. Inzwischen ist der Monatswert auf zuletzt 1,9% gesunken. Die jährliche Teuerungsrate sank von 211% im Jahr 2023 auf 118% im vergangenen Jahr. Zugegebenermaßen immer noch hohe Raten, aber die Richtung stimmt.

 

 

 

Doch auch bei der so entscheidenden Wirtschaftsleistung zeigen sich erste Erfolge. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem realen (d. h. unter Berücksichtigung der Teuerung) Wachstum des argentinischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5,5% in diesem Jahr – das ist eine der höchsten Zuwachsraten aller Länder weltweit.

 

 

Überschuss in der Staatskasse

Hinzu kommt: Die drastischen Ausgabenkürzungen verwandelten das jahrelange tiefrote Haushaltsdefizit mittlerweile in einen Überschuss. Es wurden zahlreiche staatliche Arbeitsplätze abgebaut, Subventionen gestrichen, staatliche Dienstleistungen den Marktpreisen angepasst und die Mietpreisbremse abgeschafft.

Unter dem Strich ist es der argentinischen Regierung gelungen, die Staatsausgaben im vergangenen Jahr um 27% zu reduzieren.

 

 

Milliardenkredite und Lob für Milei

Mehrere internationale Organisationen haben für Argentinien zuletzt Hilfspakete in Höhe von insgesamt bis zu 32 Mrd. US-Dollar geschnürt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gab allein im April d. J. ein Paket in Höhe von 20 Mrd. Dollar über einen Zeitraum von vier Jahren bekannt.

Argentinien ist der größte Schuldner des IWF und stand bereits vor dem neuen Hilfspaket mit mehr als 44 Mrd. US-Dollar beim Währungsfonds in der Kreide. Die neuen Kredite sollen nun dazu dienen, den Schuldendienst gegenüber dem IWF zu stemmen und die Währungsreserven der Zentralbank zu erhöhen.

Auch wenn die neuen Kredite dem Land erst einmal Luft verschaffen, ist es naturgemäß bedenklich, wenn neue Kredite aufgenommen werden müssen, um Altschulden überhaupt bedienen zu können. Aber Experten beurteilen die Hilfspakete als sehr wertvoll. Sie würden Milei den dringend benötigten finanziellen Handlungsspielraum verschaffen.

Laut IWF und Weltbank (einem weiteren Kreditgeber) stellen ihre Hilfspakete ein starkes Vertrauensvotum für die Bemühungen der Regierung dar, die Wirtschaft zu stabilisieren und zu modernisieren. In diesem und den Folgejahren wird ein kräftiger Rückgang der Schuldenquote Argentiniens (in Relation zum BIP) prognostiziert.

 

 

Erfolge mit unerfreulichen Nebenwirkungen

Zwar ist es Milei gelungen, erste Wachstumskräfte freizusetzen, die Inflation – das wohl drückendste Problem Argentiniens – deutlich zu senken und den Staatshaushalt auszugleichen.

Doch die Kehrseite der Erfolgsbilanz: Zahlreiche Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Subventionen, beispielsweise für Strom, Gas und den öffentlichen Nahverkehr, wurden gestrichen. Manche Krankenhäuser können chronisch Kranke nicht mehr ausreichend mit Medikamenten versorgen. Züge drohen auszufallen, weil notwendige Ersatzteile fehlen. Ärmere Bevölkerungskreise und Rentner trifft der rigide Sparkurs besonders hart.

Milei wiederholt in diesem Zusammenhang fast schon gebetsmühlenartig sein Credo: Es muss erst einmal schlimmer werden, bevor es allen auf Dauer wirklich besser gehen kann. Bemerkenswert ist, dass offensichtlich eine Mehrheit der Argentinier die Zumutungen und Entbehrungen bisher mitträgt.

Dies dürfte vor allem daran liegen, dass ihm die erfolgreiche Bekämpfung der lange Zeit galoppierenden Inflation hoch angerechnet wird; denn kaum etwas produziert auf Dauer so viel wirtschaftliches Elend wie eine zu hohe Inflation – eine Erfahrung, die dem argentinischen Volk vermutlich tief in den Knochen steckt.

 

Stimmungstest Kongresswahlen

Am 26. Oktober d. J. stehen die Zwischenwahlen für den argentinischen Kongress an und geben Aufschluss darüber, wie die Stimmung im Lande tatsächlich ist. Der Wahlausgang ist auch deshalb wichtig, weil bisher nur wenige Vertreterinnen und Vertreter von Mileis Partei im Kongress sitzen und er darum immer wieder Konflikte mit ihm ausficht.

Jüngst gab es allerdings erstmals Anzeichen dafür, dass Mileis Siegeszug durch das politische System möglicherweise ins Stocken geraten könnte. Denn ein Korruptionsskandal belastet sein engstes Umfeld.

In den Skandal soll u. a. Mileis Schwester Karina verwickelt sein, die die Partei mit eiserner Hand führt. Ihr wird vorgeworfen, an einem millionenschweren Schmiergeldsystem beteiligt zu sein, bei dem sie für die Vergabe von Arzneimittelaufträgen im Gegenzug monatlich hohe Summen erhalten haben soll.

Das Brisante dabei: Die Korruptionsbekämpfung ist eigentlich ein Hauptanliegen Mileis. Sollte es ihm also nicht gelingen, seine Glaubwürdigkeit in der Hinsicht aufrechtzuerhalten, ist das ganze Reformprojekt gefährdet.

 

Wie lange kann Milei seinen radikalen Kurs durchhalten?

Zudem erwarten nicht wenige, dass die bislang eher überschaubaren sozialen Proteste künftig zunehmen könnten. Denn die Kosten des rigiden Sparkurses verteilen sich bislang sehr ungleich: Die Armen, die Alten und die untere Mittelschicht sind die Leidtragenden – ihre Kaufkraft schrumpft, während die Kosten explodieren.

Allerdings gewinnt man auch den Eindruck, dass die leidgeprüften Argentinierinnen und Argentinier der Ansicht sind, dass es so wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten einfach nicht weitergehen kann und darf … aber die Geduld und Leidensfähigkeit seiner Landsleute sollte Milei nicht überstrapazieren.

Es ist noch viel zu früh, das Milei-Experiment abschließend als Erfolgsmodell mit Vorbildfunktion zu bezeichnen, denn es lauern noch etliche Fallstricke, die das Ganze zum Scheitern bringen könnten. Aber zumindest bisher hat sich Argentinien unter Milei sowohl wirtschaftlich als auch politisch zum Positiven gewandelt.

Wenn es Milei jetzt noch schafft, die Initiative und die Kräfte der Mittelschicht zu entfesseln und die wirklich Bedürftigen gezielt mit direkten finanziellen Transfers zu unterstützen, könnte er tatsächlich eine nachhaltige Aufbruchstimmung in Argentinien entfachen. Dem rohstoffreichen und arg gebeutelten Land wäre es wahrlich zu gönnen.

 

Deutschland: mehr Milei wagen

Auch wenn sich die Situation Argentiniens nur sehr bedingt mit der Deutschlands vergleichen lässt, scheint ein Satz des früheren FDP-Chefs und Ex-Finanzministers Christian Lindner gar nicht mehr so abwegig zu sein, mit dem er Ende des vergangenen Jahres noch für viel Aufregung sorgte: Deutschland müsse „mehr Milei wagen“.

Losgelöst von politischen Weltanschauungen: Die Ansicht, der (deutsche) Staat sei über die Jahre zu groß, träge und ineffektiv geworden, ist mittlerweile weitverbreitet. Themen wie hohe Steuern, Sorgen in Bezug auf die Finanzierbarkeit des Sozialstaates, zunehmende Regulierung, überbordende Bürokratie, ineffiziente öffentliche Dienstleistungen und marode Infrastrukturen bestimmen zunehmend die politischen Diskussionen.

Und gerade was die von Milei in Gang gesetzten Maßnahmen zur Rückführung des staatlichen Einflusses, zur Entbürokratisierung, stärkeren Digitalisierung öffentlicher Leistungen und Förderung von Eigeninitiative betrifft, kann Argentinien durchaus auch ein Vorbild für Deutschland sein … ohne dass man deshalb gleich zur Kettensäge greifen müsste.

 

Fazit

  • Argentiniens Präsident Javier Milei: anfangs heftig kritisiert und auch belächelt, mittlerweile wegen seiner beeindruckenden Anfangserfolge von vielen bewundert.
  • Seine Zwischenbilanz: Inflation stark rückläufig, hohes Wirtschaftswachstum, statt jahrelanger Haushaltsdefizite jetzt -überschüsse.
  • Mileis rigoroser Sparkurs kennt allerdings auch viele Verlierer, die mit der Aussicht auf bald wieder bessere Zeiten vertröstet werden.
  • Es ist noch zu früh, Mileis libertäre Wirtschaftspolitik abschließend als Erfolg zu preisen, noch kann einiges schiefgehen. Aber Milei hat bislang zweifelsohne mehr erreicht, als ihm viele zugetraut haben.
  • Zumindest in Teilen (weniger Staat, weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung) kann das argentinische Experiment auch für das schwächelnde Deutschland durchaus interessantes Anschauungsmaterial liefern.
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