Geldanlage: Es ist immer der richtige Zeitpunkt

Quirin Privatbank:

Neulich war ich mit meiner jüngsten Tochter – sie ist dreieinhalb Jahre alt – auf dem Spielplatz. Sie liebt es, zu toben, zu rutschen und vor allem zu klettern. Dabei ist sie oft sehr mutig für ihr Alter und traut sich auch gerne mal auf unbekanntes Terrain.

Eine Nachbarin kam vorbei, beobachtete sie eine Weile und rief ihr dann mit einem wohlwollenden Lächeln zu: „Sei vorsichtig, Kleine!“ Dieser aus ganzem Herzen gut gemeinte Ratschlag (und genauso habe ich ihn aus meiner Erwachsenenperspektive aufgenommen) hat meine Tochter verwirrt. Ich konnte es ihr ansehen.

Was sollte ihr das sagen? Sollte sie schneller oder langsamer klettern? Oder ganz damit aufhören? Sollte sie bleiben, wo sie war, oder das Klettergerüst schnellstmöglich verlassen? Hatte sie etwas falsch gemacht – und wenn ja, was sollte sie anders machen?

Fragen über Fragen.

 

„Anleger sollten jetzt lieber vorsichtig sein!“

So, wie es meiner Tochter auf dem Spielplatz erging, ergeht es vielen Anlegerinnen und Anlegern dieser Tage. Denn immer wieder ist zu lesen, dass Anlegende jetzt lieber vorsichtig sein sollten, weil wir uns in einer turbulenten Marktphase befinden und die Börsen recht volatil sind.

Doch ich frage mich – genauso wie meine Tochter: Was soll das eigentlich heißen, dieses „lieber vorsichtig sein“?

 

 

Unters Kopfkissen, aufs Sparbuch, in Kryptos investieren?

Wie verhalte ich mich als Anlegerin bzw. Anleger denn richtig, wenn ich diesen Rat befolgen und vorsichtig sein möchte? Verkaufe ich alle Aktienanlagen, weil es an den Märkten ruckelt? Stocke ich auf und kaufe nach? Soll ich nichts tun und alles lassen, wie es ist?

Lege ich mein Geld zu Hause unters Kopfkissen? Oder investiere ich es in vermeintlich krisensichere Anlagen wie Gold? Steige ich um auf Einzelaktien viel gelobter Unternehmen in der Krise oder besonders angesagte Anlageprodukte wie Kryptos?

Oder gehe ich zurück zu vermeintlich sicheren Anlageprodukten wie Versicherungen? Schichte ich um auf weniger – respektive mehr – Aktien? Lege ich mein Geld lieber aufs Sparbuch oder Tagesgeldkonto?

Oder was wollen die Expertinnen und Experten, von denen dieser Tipp kommt, uns und vor allem Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sagen?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Zunächst einmal lässt diese Botschaft einzig denjenigen, der sie formuliert hat, besser fühlen. Er hat in einer turbulenten Börsenphase einen vermeintlich guten Tipp gegeben. Der Empfangende bleibt indes ratlos zurück.

 

Turbulente Börsenphasen: die Stunde der Apokalyptiker

Gehen wir vielleicht noch mal einen Schritt zurück und nehmen die Vogelperspektive ein. Wenn es an den Märkten ruckelt, schlägt grundsätzlich die Stunde der Apokalyptiker: Sie kommen mit allerlei Szenarien um die Ecke, was als Nächstes an den Märkten geschehen wird und wie man darauf am besten reagieren sollte.

Täglich gibt es zahlreiche Tipps auf den Wirtschaftsseiten unserer Tageszeitungen, wie man jetzt sein Geld anlegen sollte, um halbwegs unbeschadet durch die Krise zu kommen.

Auch aktuell werden derartige Szenarien inflationär genutzt und medial wird viel darüber spekuliert, was Anlegerinnen und Anleger von den kommenden Börsenjahren zu erwarten haben.

Es ist die Rede vom Kollaps des gesamten Wirtschaftssystems, mindestens aber von Schmalhans-Jahren an den Börsen, die uns nun allen gemeinsam drohen.

Mein Kollege Stefan May hat vergangene Woche ausführlich über die Stunde der Apokalyptiker berichtet.

 

Was nützen uns Szenarien?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – alle Prognosen und Spekulationen über den Verlauf der Märkte und der kommenden Börsenjahre können richtig sein oder auch nicht, das weiß im Vorfeld niemand.

Szenarien, wie sich die Märkte entwickeln werden und was Anlegerinnen und Anleger zu erwarten haben, sind in sich alle stimmig und haben durchaus ihre Berechtigung, sie stammen in der Regel von klugen Köpfen, die wissen, wovon sie sprechen.

Aber – und jetzt kommt ein wirklich dickes Aber – die Frage ist: Was nützen einem derartige Szenarien und kann man sich wirklich trauen, auf sie zu setzen?

 

Die Conclusio ist nicht zielführend

Der springende Punkt ist, dass die Conclusio aus diesen Szenarien dem Anlegenden in den allermeisten Fällen nichts nützt. Sie kann vielmehr dazu führen, dass Anlegerinnen und Anleger wichtige Grundregeln für einen langfristigen Anlageerfolg über Bord werfen.

Sie ruft unter Umständen Reaktionen hervor, die eklatante Folgen für die Geldanlagen der Menschen haben können.

Sie suggeriert, dass man sich aktiv schützen kann vor den aktuellen Turbulenzen an den Börsen.

Und so werden Anlageentscheidungen forciert, die unnötig und meist nicht zielführend sind, im schlechtesten Falle Rendite kosten.

 

 

Dabei ist der Drang, in Krisen aktiv zu werden und zu reagieren, menschlich absolut nachvollziehbar, er steckt evolutionär in uns, es ist unser Überlebensinstinkt.

Er ist in vielen Situationen richtig und wichtig, bei der Geldanlage jedoch absolut kontraproduktiv.

Und besonders misslich ist der Ratschlag, Anlegende sollten jetzt „lieber vorsichtig sein“. Er lässt sie nicht nur ratlos zurück, was denn jetzt konkret zu tun sei, sondern er verstärkt auch noch bereits vorhandene Ängste: Die Angst der Deutschen vor den Risiken der weltweiten Kaptalmärkte, das passt zu dem hierzulande noch verbreiteten Irrglauben, Aktien seien Teufelszeug.

In der Regel wird dieser Tipp dazu führen, dass Menschen ihr Geld dann eben nicht anlegen – oder schlimmer noch – bestehende breit aufgestellte Anlagestrategien auflösen.

Damit können sie Renditechancen verpassen, die an den weltweiten Märkten langfristig immer bestehen, und die mit einer entsprechenden Anlage systematisch geerntet werden können.

 

Kein neuer und kein guter Ratschlag

Dass Vorsicht kein guter Ratschlag ist und meist dazu führt, dass Anlegerinnen und Anleger Renditechancen verpassen, möchte ich Ihnen gerne „beweisen“.

Dafür hätte ich die Kolleginnen und Kollegen unseres Portfoliomanagements um entsprechende Berechnungen bitten können, ich möchte es Ihnen heute aber gern auf andere Weise zeigen.

Ich habe mir dafür einmal angeschaut, ob der Tipp „Anleger sollten jetzt lieber vorsichtig sein!“ ein aktuelles Phänomen ist oder ob es ihn schon länger gibt.

Und mein Gefühl hat mich nicht getäuscht: Dieser Ratschlag ist wahrscheinlich genauso alt wie die Börsen selbst, es hat ihn vermutlich zu jeder Zeit gegeben.

Zumindest lassen ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit diesen Schluss zu:

  • Investing.com schrieb am 12.8.2022: „Aktien-Rallye: Anleger sollten jetzt vorsichtig sein“
  • Handelsblatt schrieb am 3.6.2020: „Anleger sollten vorsichtig sein“
  • WiWo schrieb am 31.5.2019: „Anleger sollten lieber vorsichtig sein“
  • ntv schrieb am 29.1.2016: „Anleger sollten vorsichtig sein: Das Klima für Aktien ist schlecht“

Das sind nur ein paar stichprobenartige Beispiel, diese Liste ließe sich bei entsprechender Recherche wahrscheinlich endlos weiterführen.

Nehmen wir nun einmal beispielhaft den Artikel vom 29. Januar 2016 genauer unter die Lupe, den Tag, an dem der ntv-Artikel erschien, der vor Aktienanlagen warnte. Der MSCI World Index (in Euro, inkl. Dividenden) stand an diesem Tag bei 200,43 Punkten. Ende August 2022 notierte er bei 408,42 Punkten.

Das ist – trotz der teilweise erheblichen Schwankungen in den letzten Jahren – eine Steigerung um rund 103 Prozent, also gut eine Verdopplung in sechseinhalb Jahren.

Würde man diesen Zugewinn aufs Jahr runterrechnen, wäre das eine Rendite per annum von etwa 11,4 Prozent per anno.

 

 

Es ist immer der richtige Zeitpunkt

Was will ich mit diesem Rechenbeispiel sagen? Wenn Sie 2016 (oder 2019 oder 2020) diesen Tipp – jetzt vorsichtig zu sein – so interpretiert hätten, die Finger von Aktien zu lassen und kein Geld am Kapitalmarkt anzulegen, dann hätten Sie eine passable Rendite verpasst und würden wahrscheinlich immer noch auf den perfekten Einstieg warten.

Oder andersrum gesagt: Es ist immer richtig, Geld anzulegen, zumindest dann, wenn man die Grundsätze einer renditeorientierten und risikobewussten Geldanlage am Kapitalmarkt berücksichtigt. Das gilt erst recht, wenn Sie in den Zeitungen lesen, dass Sie jetzt lieber vorsichtig sein sollten.

Voraussetzung ist, dass Sie nicht einfach irgendwie investieren, sondern maximal breit gestreut in den weltweiten Markt und dabei einen entsprechenden Zeithorizont mitbringen.

D. h., Geduld, Disziplin und Diversifikation sind das A und O in Krisen wie in Nicht-Krisen-Zeiten, wobei das in Krisen eigentlich noch wichtiger ist als in ruhigen Börsen-Phasen.

 

 

Besser sind konkrete Tipps

Zurück zu unserem Tipp, vorsichtig zu sein. Sowohl auf dem Spielplatz wie auch auf den Finanzseiten unserer Zeitungen ist es besser, konkreter zu sein. Ein „Halt Dich gut fest!“, „Mach‘ kleine Schritte!“, „Schau, dass Du gut stehst!“, „Ruf mich, wenn Du Hilfe brauchst!“ ist für ein Kind deutlich greifbarer, weil es konkret benennt, was wir unserem Kind raten.

Das Gleiche gilt für Anlegerinnen und Anleger: „Achten Sie auf eine breite Risikostreuung!“, „Investieren Sie kontinuierlich entsprechend Ihrem Rendite-Risiko-Profil.“ oder “Rufen Sie uns an, wir beraten Sie gern!“ sind allesamt besser als die vage Empfehlung, vorsichtig zu sein.

Die Strategie, vorsichtig zu sein, kann Anlegerinnen und Anleger Rendite kosten und deshalb sind die im Sinne dieses Artikels „vorsichtigen“ Strategien die eigentlich gefährlichen, weil wichtige Anlagegrundsätze – meist übereilt – über Bord gehen können.

Deshalb: Seien Sie bitte vorsichtig, wenn Ihnen in Sachen Geldanlage jemand rät, vorsichtig zu sein.

 

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

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