Türkei 2025: turbulentes wirtschaftliches Umfeld, geprägt von schnellen politischen Wechseln und Erdogans Einfluss

Bei wohl kaum einem anderen OECD-Land wechseln sich Phasen relativer (wirtschafts)politischer Ruhe mit Phasen extremer Volatilität so häufig ab wie in der Türkei. Oftmals spielen dabei die Launen von Staatspräsident Erdogan eine entscheidende Rolle. Nach starken Ausschlägen an den Finanzmärkten im Zuge der Präsidentschaftsund Parlamentswahlen im Mai 2023 nahm Erdogan Personalveränderungen im Kabinett und an der Spitze der Zentralbank vor.

Anschließend wurde ein Wechsel hin zu einer restriktiveren Geld und Fiskalpolitik vollzogen.

Es war eine Art Schocktherapie mit zunächst weiterem rapiden Wertverlust der Lira und einer schnell steigenden Inflation.

Dennoch gelangen dieser wirtschaftspolitischen Wende einige Erfolge, wie der Economic Coordination Council der Republik auf einer Sitzung im Dezember 2024 festhielt: die Arbeitslosigkeit blieb einstellig, während die Beschäftigung Rekordhochs erreichte, die Kreditkosten sanken, der Zugang zu externer Finanzierung für Banken und die Realwirtschaft verbesserte sich, die Lira-Abwertung verlangsamte sich, Haushaltsdefizite waren rückläufig und das Land wurde erfolgreich von der grauen Liste der Financial Action Task Force gestrichen.

Darüber hinaus war die Türkei seit Mitte 2023 das einzige Land, dessen Kreditwürdigkeit von zwei der drei größten Ratingagenturen der Welt um zwei Stufen angehoben wurde.

Mit Äußerungen wie Ende Dezember 2024 („damit die Inflation sinkt, müssen die Zinsen sinken“), die der gängigen Theorie widersprechen, sorgte der türkische Präsident für Verwunderung und ließ bei einigen Marktteilnehmern Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank aufkommen.

Ähnlich wie die Wahlen im Mai 2023 war es auch im März 2025 ein Ereignis mit politischer Sprengkraft, das die Märkte in Unruhe versetzte.

Am 19. März wurde der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu und aussichtsreiche Gegenkandidat Erdogans bei den Präsidentschaftswahlen 2028 wegen Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Die Märkte reagierten scharf. Ein US-Dollar kostete erstmals mehr als 37 türkische Lira.

Im Fokus Türkei: Politik dominiert Finanzmärkte

 

Türkei BIST Index Chart

 

Die Rendite 10jähriger Staatsanleihen zog ebenfalls deutlich von 26,4 % auf fast 31 % an.

Im Fokus Türkei: Politik dominiert Finanzmärkte

 

Eine Woche nach der Inhaftierung Imamoglus waren Finanzminister Simsek und Zentralbankgouverneur Karahan darum bemüht, die Investoren zu beruhigen. Simsek bekräftigte, dass die Regierung an dem Mitte 2023 eingeleiteten umsichtigen wirtschaftspolitischen Kurs festhalten werde. Karahan betonte seinerseits, dass die Zentralbank weiterhin auf den Kampf gegen die Inflation fokussiert bleibe.

Für die türkische Zentralbank steht viel auf dem Spiel.

Häufige Personalwechsel an der Spitze und mehrfache Leitzinssenkungen angesichts galoppierender Inflation hatten Zweifel an der Unabhängigkeit der Geldpolitiker aufkommen lassen.

Mit der Ernennung von Hafize Erkan zur Zentralbankchefin im Juni 2023 (sie trat bereits im Februar 2024 zurück) wurde ein Wechsel in der Geldpolitik zu einem ausgeprägt restriktiven Kurs vollzogen.

Vor dem Hintergrund der sinkenden Inflation und seit September 2024 wieder positiver Realzinsen hat die Zentralbank im Dezember die Zinswende eingeleitet.

Zwischen Dezember 2024 und März 2025 wurde der einwöchige Repo-Satz von 50 % auf 42,5 % gesenkt.

Das geldpolitische Komitee sieht Disinflationsprozesse durch eine schwächere Binnennachfrage, eine reale Aufwertung der türkischen Lira und niedrigere Inflationserwartungen.

Angesichts der rückläufigen Inflation und der zuletzt für türkische Verhältnisse schwachen wirtschaftlichen Entwicklung ist noch mit mehreren Zinssenkungen im Jahresverlauf 2025 zu rechnen, wie bisher in Schritten von 2,5 Prozentpunkten.

Möglich sind gelegentliche Pausen, um sicherzustellen, dass der Realzins positiv bleibt. Eine erfreuliche Entwicklung zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Saisonbereinigt stieg die Beschäftigung bis November gegenüber dem Vorquartal um 0,5 % (150.000 Personen) auf fast 33 Mio. Personen. Die Arbeitslosenquote lag im Januar 2025 bei 8,5 % und folgt somit seit der Corona-Pandemie einem stetigen Abwärtstrend. Dennoch herrscht Reformbedarf.

So ist trotz jüngster Verbesserungen der informelle Sektor nach wie vor groß und die Erwerbsbeteiligung von Frauen gering. Für Männer liegt die Partizipationsrate (Anteil aller Erwerbspersonen zuzüglich der Arbeitslosen an allen Einwohnern im erwerbsfähigen Alter) um die 70 %, für Frauen hingegen nur bei etwas über 30 %.

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Die Außenwirtschaft leistete 2024 einen leicht positiven Wachstumsbeitrag. Dies lag an der wirtschaftlichen Schwäche bei wichtigen Handelspartnern der Türkei.

Die Exporte machen 30–35 % des BIP aus.

Das Handelsbilanzdefizit ging 2024 auf 56,3 Mrd. US-Dollar zurück, von 86,3 Mrd. im Vorjahr.

Während die Exporte mit 1,1 % moderat zulegten, verzeichneten die Importe einen Rückgang von 4,3 %, in erster Linie wegen der restriktiveren Wirtschaftspolitik zur Eindämmung der Inflation.

Nicht zuletzt hat die Türkei als importabhängiges Land auch von stabilen Rohstoffpreisen auf den Weltmärkten profitiert.

Brennstoffimporte machten 2023 etwa ein Fünftel aller Warenimporte aus. Dieser Wert schwankt jedoch stark, abhängig von den Weltmarktpreisen. Mitte 2023 schwenkte die türkische Regierung auf eine konservativere Fiskalpolitik ein.

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Steuern und Preise staatlicher Unternehmen wurden erhöht und Steuerausnahmen reduziert. Dass 2024 trotzdem nur eine moderate Reduzierung des Defizits auf 4,9 % von 5,3 % im Vorjahr gelang, liegt an hohen Ausgaben für Gehälter, die sich nicht so leicht reduzieren lassen, sowie den Kosten für den Wiederaufbau im Zuge des verheerenden Erdbebens Anfang 2023.

Die Einnahmen und die Ausgaben stiegen 2024 im Vergleich zum Vorjahr nominal um 66,5 % bzw. 63,6 %. Das Haushaltsdefizit liegt damit im Rahmen der mittelfristigen Planung der Regierung. Die Ausgabenund Einnahmenquoten im Verhältnis zum BIP werden auf 24,4 % bzw. 19,6 % geschätzt. Finanziert wird das Defizit sowohl über externe als auch interne Quellen.

Die Staatsverschuldung ist mit 20,9 % des BIP moderat.

Insgesamt leisteten 2024 der private Konsum und die Exporte den größten Wachstumsbeitrag, wenngleich der private Konsum wie auch die Investitionen gegenüber 2023 eine deutliche Abschwächung verzeichnete.

Für 2025 erwarten wir eine leichte Erholung des Wirtschaftswachstums auf 3,7 %, verglichen mit 3,2 % im Vorjahr.

Die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die weiter rückläufige Inflation dürften den Konsum im laufenden Jahr stützen. Die Investitionen sollten sich ebenfalls aufgrund der niedrigeren Zinsen stabilisieren, wenngleich das Niveau immer noch hoch bleibt. Die Außenwirtschaft wird den größten Wachstumsbeitrag liefern.

Um mittelfristig wieder ein höheres Wachstum zu erreichen, müssen eine Reihe struktureller Reformen angegangen werden.

Ein Auslaufen der Benzinsubventionen würde den Staatshaushalt entlasten und dabei helfen, Ankaras Ziel von Emissionsfreiheit bis 2053 zu erreichen. Auf dem Arbeitsmarkt kann der informelle Sektor verkleinert werden, z.B. durch Flexibilisierung formeller befristeter Arbeitsverträge sowie eine Verringerung der administrativen, regulatorischen und steuerlichen Belastung für kleine und mittlere Unternehmen.

In der Justiz müssten die Abläufe beschleunigt werden. Grundsätzlich verfügt das Land über viele Faktoren, die es für inländische wie ausländische Unternehmen attraktiv machen. Dazu zählt vor allem die diversifizierte Wirtschaftsstruktur, mit Automobilzulieferern, Landwirtschaft, Tourismus, Finanzdienstleistungen und einem dynamischen Privatsektor.

In einigen Nischenindustrien ist die Türkei sehr gut positioniert, z.B. der Rüstungsindustrie. Die geografische Lage ist ebenfalls ein Vorteil, mit der Nähe zu Europa und dem Nahen Osten. Außerdem steht die junge und wachsende Bevölkerung im Gegensatz zu den alternden europäischen Gesellschaften.

Bei einer im Jahr 2023 mit 87,3 Mio. ähnlichen Bevölkerungsgröße wie in Deutschland (84,5 Mio.) ist die Erwerbsbevölkerung in der Türkei mit 58,2 Mio. deutlich größer als hierzulande mit 52,7 Mio.

Vor allem wächst sie noch, im Gegensatz zur sinkenden Erwerbsbevölkerung in Deutschland.

Etwa ab Mitte des Jahrhunderts könnte allerdings auch die Türkei demografische Probleme bekommen (vgl. Chart).

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