DDR-Zusatzrenten: Das lange Warten

Deutsches Institut für AltersvorsorgeIm Einigungsvertrag wurde festgeschrieben, dass DDR-Zusatzrenten für die Altersvorsorge zählen sollen. Doch mehrere Hunderttausend Betroffene warten noch immer auf eine befriedigende Lösung. Ob und wann diese kommt, bleibt auch nach gut 30 Jahren noch offen.

Die Zeit vergeht. Während nach der Wiedervereinigung drei Dekaden lang mittlerweile 17 unterschiedliche Personen- oder Berufsgruppen um die Anerkennung ihrer Lebensleistung und DDR-Zusatzrenten kämpfen, hält sich der Staat in dieser Sache immer noch eher bedeckt. Auch wenn zwischendurch und auf Druck hin und wieder eine Lösung – Stichwort Härtefallfonds – angekündigt wurde, passiert ist nicht viel.

 

 

Obwohl das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) nach der Deutschen Einheit dafür sorgen sollte, auch Ansprüche aus DDR-Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in die bundesdeutsche gesetzliche Rentenversicherung gemäß SGB VI zu überführen.

Bereits 1999 hatte zudem das Bundesverfassungsgericht geurteilt, die Anwartschaften aus DDR-Zusatzrenten stünden unter dem Schutz des Grundgesetzes. Doch anschließend schloss das Bundessozialgericht (BSG) eine juristische Lösung aus und präferierte stattdessen eine politische Entscheidung. Doch diese lässt immer noch auf sich warten. Nunmehr läuft zahlreichen Betroffenen regelrecht die Zeit davon.

Worum geht es bei den DDR-Zusatzrenten?

Krankenschwestern und Balletttänzerinnen, Postboten und Reichsbahner, Selbständige, Bergmänner, Chemiker und Physiker in volkseigenen Betrieben – sie und weitere Berufsgruppen sorgten mittels DDR-Zusatzrenten für ihren Ruhestand vor. Sie vertrauten darauf, dass die geleisteten Beiträge zu ihren Versorgungsansprüchen hinzugerechnet und nach Renteneintritt entsprechend ausgezahlt werden.

Anfangs wurde auch (teilweise) gezahlt, allerdings nur bis 1995. Wer später in Rente ging, ging leer aus – ebenso wie zu DDR-Zeiten geschiedene Frauen, denn einen Versorgungsausgleich gab es nicht. Betroffen sind letztlich (noch) Hunderttausende.

Manche gingen juristisch dagegen vor oder wandten sich sogar an die UNO. Geholfen hat es bisher nicht. Obwohl es in der Politik immer wieder Äußerungen gab, die diese Ansprüche als berechtigt bezeichneten.

Auch im 2018er Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht, dass noch offene Fragen bei der DDR-Rentenüberleitung geklärt werden sollten. Als Lösung war beispielsweise ein Härtefallfonds gedacht, der allerdings auch nur „Härtefälle“ im Zuge der Grundsicherung auffangen sollte.

Bezeichnungen ändern sich, die Situation nicht

Aus dem Härtefallfonds wurde zwischendurch ein „Gerechtigkeitsfonds“. Außerdem gründete sich im März 2019 ein Runder Tisch mit Vertretern der 17 Berufs- und Personengruppen und Politikern. Dort wurde im Spätherbst 2019 ein Kompromiss ausgehandelt. Noch lebende Ostrentner sollten im Zuge ihrer DDR-Zusatzrente voraussichtlich 2020 oder 2021 eine Einmalzahlung zwischen 15.000 bis 20.000 Euro pro Person erhalten.

Doch es blieb bei der Ankündigung. Dann kam auch noch Corona. Zudem wollte sich das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nunmehr doch wieder strikt an den Koalitionsvertrag halten und lediglich einer Lösung auf Grundsicherungsbasis zustimmen. Das wiederum bedeutet, nur wirklich bedürftige Rentner könnten auf Zahlung hoffen.

Nach Schätzungen des Runden Tisches würde dies gerade einmal zwei Prozent betreffen. Ende Juli 2020 besann sich das BMAS wieder auf den alten Namen und sprach sich per Bund-Länder-Arbeitsgruppe erneut für einen Härtefallfonds aus.

Eine demografische bzw. biologische Lösung?

Doch abgesehen von der gegenwärtigen Corona-Pandemie und unwägbaren Bundesfinanzen ist das kommende Jahr auch noch ein Wahljahr mit ungewissem Ausgang und unklaren Prioritäten. Möglicherweise deshalb hat sich der ehemalige Reichsbahner und Sprecher der Interessengruppen des Runden Tisches, Dietmar Polster, dahingehend geäußert, dass es laut seinem Kenntnisstand keine Fondslösung für alle Betroffenen mehr geben wird.

Zudem wird wohl auch die Härtefalllösung für den geringsten Personenkreis erst ab 2023 greifen. Somit warten – nach Schätzungen der Betroffenen – immer noch rund 500.000 Ostrentner auf die Anerkennung ihrer DDR-Zusatzrenten, darunter ca. 300.000 damals geschiedene Frauen.

Ohnehin wird die Zahl derer, die noch von Zahlungen profitieren könnten, von Jahr zu Jahr kleiner. Nicht wenige der Betroffenen vermuten dahinter politisches (oder finanzielles) Kalkül und fühlen sich im Stich gelassen. So wirft etwa Gerlinde Scheer, Vorsitzende des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen, der Politik vor, auf eine “biologische Lösung” zu setzen.

 

 

Beispielhaft: Ehemalige Akteure der DDR-Ballettszene

Was auf der Bühne so leicht daherkommt, ist das Ergebnis harten und jahrelangen Trainings. Balletttänzerinnen oder Balletttänzer proben täglich. Mitte 30 ist jedoch in der Regel schon Schluss mit der Karriere, mit Beruf und Verdienst. Im Westen existierte dafür ein Versorgungswerk, das später für einen gewissen Rentenausgleich sorgen sollte.

Im Osten gab es eine staatliche Ballettrente, eingeführt mit Wirkung vom 1. September 1976. Dadurch bekamen Balletttänzerinnen oder Balletttänzer nach 15 Jahren Bühnenpräsenz bis zu 400 Mark an Rente zusätzlich im Monat. Diese “berufsbezogene Zuwendung” strich der Bund jedoch 1992 ersatzlos. Seitdem wurden ihnen keine DDR-Zusatzrenten mehr gezahlt.

Doch die Betroffenen wehrten sich Jahrzehnte juristisch, allerdings letztlich ohne Erfolg. Daraufhin schloss sich die “Interessengemeinschaft ehemaliger Balletttänzer/innen der DDR” ebenfalls dem Runden Tisch an. Ausgang offen, aber mit wenig Optimismus verbunden. In einem Interview mit dem MDR schildern zwei Betroffene den Prozess und die Strukturen im Hinblick auf DDR-Zusatzrenten.

Unterstützung für die Länder, aber nicht für die Betroffenen

Anders als die direkten Betroffenen will der Bund die östlichen Bundesländer bei den Kosten für DDR-Zusatzrenten stärker unterstützen. Diesem Vorhaben hat der Bundestag Mitte September 2020 bereits zugestimmt. So wird der Bund im Rahmen des Konjunkturpakets künftig 50 statt 40 Prozent der Kosten für die DDR-Zusatzrenten übernehmen.

Insgesamt werden die östlichen Bundesländer dadurch ab 2021 in Höhe von rund 340 Millionen Euro pro Jahr entlastet, um ihren finanziellen Spielraum zu verbessern. Manchem verantwortlichen Politiker im Osten, wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, geht diese Entlastung jedoch nicht weit genug. Deshalb streben die Länder eine vollständige Übernahme der Lasten durch den Bund weiterhin an.

Aktuelle Recherche: Aus den Augen, aus dem Sinn?

Im unlängst veröffentlichten „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit“ wird im Abschnitt „Die Angleichung der Renten in den alten und neuen Bundesländern“ (Kapitel 11) die DDR-Zusatzrente als „Freiwillige Zusatzrente“ (FZR) nur nebenbei erwähnt. Ebenso wenig wird auf einen möglichen Härtefall- bzw. Gerechtigkeitsfonds verwiesen.

Das Thema scheint also derzeit tatsächlich an Relevanz verloren zu haben. Sucht man ganz aktuell (25. September 2020) auf den Internetseiten der Bundesregierung oder des Bundesministeriums für Finanzen den Begriff “Härtefallfonds” im Zusammenhang mit “DDR” wird man letztmalig für das Jahr 2018 fündig. Beim BMAS gibt es überhaupt keinen Treffer (mehr).

Ob im politischen oder öffentlichen Rampenlicht rund um „30 Jahre Deutsche Einheit“ vielleicht doch noch positive Bewegung in die Auseinandersetzung um die DDR-Zusatzrenten kommt, weiß niemand. Doch im 30. Jahr der Einheit wäre es durchaus an der Zeit, in diesem Punkt für einen Ausgleich zu sorgen, der für alle Seiten annehmbar ist.

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