Pandemiefolgen für die Rechnungszinsen – langfristig fallende Zinsen

Deutsches Institut für Altersvorsorge: Die weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie sind enorm und weiterhin schwer abschätzbar. Die Verunsicherung an den Finanzmärkten und die teilweise drastischen Maßnahmen der Länder zur Eindämmung des Virus treffen die Unternehmen in bisher unbekanntem Ausmaß. Sind angesichts der unsicheren Wirtschaftslage mittel- bis langfristig belastbare Prognosen über die Auswirkungen auf Pensionsverpflichtungen möglich?

Die Veröffentlichung der Rechnungszinsen für Pensionsverpflichtungen zum 31. März 2020 hat gezeigt, was vermutet und befürchtet wurde: Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft haben die Renditen für Unternehmensanleihen emporschnellen lassen. Für Anleihen besonders guter Bonität (Rating „AA“) hat der Markt einen Risikozuschlag auf die jährliche Rendite von rund einem Prozent eingepreist.

Entsprechend steigen auch die Rechnungszinssätze für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen nach IFRS (IAS 19). War beispielsweise Ende Februar für einen Mischbestand (Verpflichtungsbestand mit einem ausgewogenen Verhältnis von Anwärtern und Leistungsempfängern) noch ein Rechnungszins von 0,70 Prozent angemessen, so lag das Niveau Ende März bereits bei 1,70 Prozent.

Im Ergebnis bedeutet dies deutlich sinkende Verpflichtungswerte. Ein Zinsanstieg in diesem Umfang kann zu einem Rückgang der Verpflichtungen („Defined Benefit Obligation“) um 15 bis 25 Prozent führen.

Das sorgt für eine Entlastung der Bilanzen.

Die Effekte werden dabei als sogenannte versicherungsmathematische Gewinne direkt im Eigenkapital („Other Comprehensive Income“) erfasst.

 

 

Auswirkungen bei HGB-Bilanzierung zeitverzögert

Auch in der Bilanzierung nach HGB sind bereits erste Auswirkungen spürbar. Anders als in der internationalen Rechnungslegung werden die Effekte aus der Änderung des Rechnungszinses hier erfolgswirksam erfasst. Durch die Glättung der Renditesätze über zehn Jahre wirken die Effekte allerdings zeitverzögert. Daher kommt es entscheidend darauf an, wie lange die Anleihenrenditen auf einem erhöhten Niveau verharren.

Sollte das Renditeniveau beispielsweise für den Rest des Jahres erhöht bleiben, so könnte der HGB-Rechnungszins zum 31. Dezember 2020 bei 2,38 Prozent liegen und damit 0,09 Prozent höher als noch auf Basis der Annahmen Ende Februar.

Für den aufwandswirksamen Zinsänderungseffekt könnte dieser Anstieg zu einer deutlichen Entlastung der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) im Geschäftsjahr 2020 führen. Bei einem Verpflichtungsumfang von 500.000 Euro kann dies bereits bis zu 10.000 Euro Ersparnis bedeuten. Bleiben die Renditen über 2020 hinaus erhöht, ergeben sich noch viel stärkere Entlastungseffekte und die HGB-Zinsschmelze – das beherrschende Thema der letzten Jahre – wäre bereits Ende 2023 weitestgehend überwunden.

Doch an dieser Stelle ist Vorsicht geboten.

 

Kurz- bis mittelfristig: erhöhtes Renditeniveau

Nach unserer Einschätzung handelt es sich beim Anstieg des Renditeniveaus zunächst um einen kurz- bis mittelfristigen Effekt. Die Märkte preisen in der aktuellen Situation ein erhöhtes Ausfallrisiko für Unternehmensanleihen ein. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass die Risikozuschläge sogar noch weiter ansteigen. Andererseits könnten Anleihen mit besonders starken Risikozuschlägen mittelfristig ihr erstklassiges Rating verlieren und wären dann bei der Ableitung der Rechnungszinssätze für Pensionsverpflichtungen nicht mehr relevant. Vor diesem Hintergrund ist nur schwer abzuschätzen, wie lange die Zinssätze auf erhöhtem Niveau verharren.

Aber sobald die medizinischen Auswirkungen des Corona-Erregers überwunden sind und die Weltwirtschaft sich zumindest teilweise stabilisiert hat, werden auch die Risikozuschläge auf Unternehmensanleihen zurückkommen.

Das kann bereits in wenigen Wochen der Fall sein – vielleicht dauert es aber auch viel länger.

Sobald die Renditeniveaus sinken, wird die Zinsschmelze wieder akut.

 

Langfristig: fallende Zinsen

Langfristig sehen wir den Trend zu fallenden Zinsen sogar eher noch verstärkt: Die großen Volkswirtschaften und Notenbanken haben durch zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie die Leitzinsen weiter gesenkt, die Liquidität im Markt deutlich ausgeweitet und damit das Zinsniveau langfristig weiter abgesenkt. Nicht auszuschließen ist, dass wir uns nach Überwindung der Pandemie auf einem deutlich niedrigerem Zinsniveau wiederfinden als davor.

Das Ende der HGB-Zinsschmelze würde dann in immer weitere Ferne rücken.

 

 

Auswirkungen auf das Planvermögen

Die aktuelle Marktlage wirkt sich im Übrigen nicht nur auf die Pensionsverpflichtungen, sondern auch auf die Vermögen zur Finanzierung dieser Verpflichtungen aus. Deckungs- beziehungsweise Planvermögen (zum Beispiel Aktien oder Fonds im Rahmen eines Treuhandmodells) wird in der Bilanz zum Marktwert berücksichtigt. Somit dürften die Verwerfungen der letzten Wochen zu einem deutlichen Rückgang des Vermögens geführt haben. Der Zeitwert von Rückdeckungsversicherungen bleibt hingegen unverändert.

Vom Wertverfall an den Finanzmärkten werden im Übrigen auch Pensionsverpflichtungen betroffen sein, die auf einen kapitalmarktförmigen Pensionsfonds ausgelagert wurden. Selbst wenn solche mittelbaren Verpflichtungen nach HGB nicht bilanziert, sondern im Bilanzanhang ausgewiesen werden, könnte das Fondsvermögen die aufsichtsrechtlichen Grenzen unterschreiten.

In diesem Fall wird ein Nachschuss durch den Arbeitgeber erforderlich.

 

Unterschätzen die Märkte die Krise?

Im April waren die Renditezuschläge auf Unternehmensanleihen wieder rückläufig. Ist damit die Krise bereits überwunden?

Eine Prognose ist schwierig, aber die Anzeichen mehren sich, dass die Welt deutlich länger mit den Auswirkungen der Pandemie kämpfen wird, als zunächst angenommen. Seit Mitte März sind außerdem steigende Kurse an den Finanzmärkten bei gleichzeitig immer verheerenderen Meldungen aus der Realwirtschaft zu beobachten.

Gut möglich, dass die Folgen der Pandemie immer noch deutlich unterschätzt werden.

Dann hätten wir im März erst den Anfang einer länger anhaltenden Phase erhöhter Rechnungszinsen erlebt.

 

Gastautor Michael Hoppstädter ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Longial

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