Geldanlage: Kommt jetzt die konjunkturelle Abwärtsspirale?

Quirin Privatbank: Die globale Wirtschaft ist derzeit einer Verkettung schwerwiegender Belastungsfaktoren ausgesetzt: der schreckliche Krieg in der Ukraine, anhaltend hohe Rohstoffpreise, die die Inflation anheizen, steigende Zinsen und somit auch höhere Refinanzierungskosten – und die Lieferkettenproblematik schwelt zu allem Überfluss auch noch weiter.

Kein Wunder also, dass der Wirtschaftsmotor nicht nur hierzulande stottert und viele Expertinnen und Experten von schweren konjunkturellen Dämpfern ausgehen.

Die Schlagwörter Rezession und Stagflation machen immer wieder die Runde.

Bevor wir die aktuelle Wirtschaftslage einschätzen, möchten wir kurz beleuchten, worüber hier überhaupt genau gesprochen wird.

 

Rezession versus Stagflation

Die hierzulande gängige Definition einer Rezession spricht von einer solchen, wenn die Wirtschaftsleistung mindestens in zwei Quartalen hintereinander gegenüber dem jeweiligen Vorquartal schrumpft.

Man spricht hier auch von einer „technischen“ Rezession, was verdeutlichen soll, dass nicht jede Rezession einem starken und nachhaltigen wirtschaftlichen Verfall gleichkommt – eine Vorstellung, die rein emotional häufig mit dem Wort Rezession assoziiert wird.

Weniger geläufig ist zumeist die Stagflation.

 

 

Aufgrund der aktuellen Gemengelage hat der Begriff aber gerade Hochkonjunktur. Als sogenanntes Kofferwort setzt er sich aus den Worten Stagnation und Inflation zusammen.

Eine klare Definition gibt es hier im Gegensatz zur Rezession nicht. Gemeinhin gilt als Stagflation eine (längere) Phase mit hohen Inflationsraten, sehr schwachen bzw. stagnierenden Wachstumsraten und einem kränkelnden Arbeitsmarkt.

Was dabei genau „hoch“ und „schwach“ ist, liegt im Auge des Betrachters.

Rezessionen sind nun zwar unschön, aber letztlich Teil des ganz normalen Wirtschaftskreislaufs, der üblicherweise im Zyklus Aufschwung – Boom – Abschwung – Rezession – Aufschwung etc. verläuft.

Sie sind in der Historie schon häufiger aufgetreten und wurden in der Regel relativ schnell überwunden, oft sogar bereits innerhalb eines Jahres.

Ausnahmen sind die Weltwirtschaftskrise rund um 1929, die einer sogenannten Depression gleichkam und mehrere Jahre andauerte, sowie die Finanzkrise rund um 2008, die eine knapp zweijährige Rezession auslöste.

 

Die Stagflation hingegen ist ein sehr ungewöhnliches Phänomen. Denn stagnierendes Wachstum sorgt eher für niedrige Inflation. Höhere Inflation tritt zumeist nur bei kräftigem Wachstum auf.

Daher gab es bis dato auch nur eine einzige nennenswerte Stagflationsepisode in der Weltwirtschaft, nämlich in den 1970er Jahren.

 

Die Stagflation der 1970er Jahre – ein Lehrstück

Das Problem dieser Stagflation war, dass sie sich als viel langwieriger und schwieriger zu bekämpfen erwies als eine Rezession.

Sie resultierte aus einem sogenannten Angebotsschock, also sprunghaft steigenden Preisen in bestimmten Gütergruppen, nämlich in erster Linie beim Rohöl und seinen Folgeprodukten (Stichwort: Ölkrise).

 

 

Die auch daraus resultierenden, aus dem Ruder laufenden Inflationserwartungen der Bevölkerung sorgten dafür, dass sich hohe Inflationsraten in den 1970er Jahren über längere Zeit festsetzten.

Das Fatale dabei: Zunächst einmal ließen Politik und Zentralbanken diesseits und jenseits des Atlantiks die Inflationsraten bewusst nach oben laufen in der Annahme, dass steigende Inflation quasi automatisch die darbende Wirtschaft und damit auch den Arbeitsmarkt beflügelt.

Das erwies sich spätestens mit dem Eintreten der beiden Ölkrisen und einer Lohn-Preis-Spirale als Trugschluss.

Beides trieb die ohnehin schon hohe Inflation nochmals extrem nach oben, was am Ende zu einer jahrelangen Wirtschaftskrise führte, ebenjener Stagflation.

Dies auch mit entsprechend negativen Folgen für die Aktienmärkte.

Die ausufernden Inflationserwartungen wurden zu dieser Zeit in die Lohnverhandlungen einbezogen und die Löhne – und damit die Kosten der Unternehmen – stiegen schneller und schneller, was die Unternehmen wiederum zu weiteren Preissteigerungen verleitete.

Der böse Spuk konnte erst Anfang der 1980er Jahre mit gravierenden Zinsanhebungen der Notenbanken beendet werden.

Nach einer kurzen, aber sehr heftigen Rezession gelang die Rückkehr auf den Wachstumspfad.

 

Der Unterschied zwischen damals und heute

Die 1970er Jahre werden aktuell vielfach zitiert mit der Befürchtung, dass sich diese Geschichte gerade zu wiederholen beginnt – vor allem weil wir es derzeit wie damals mit einem Energiepreisschock zu tun haben.

Auch wenn die Gefahr einer Stagflation nicht völlig von der Hand zu weisen ist, so ist die Ausgangslage heute doch in wesentlichen Aspekten anders als damals.

  • Die Wachstumskurve sieht noch nicht allzu bedenklich aus. Zwar ist die US-Wirtschaft im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,4 % geschrumpft, dies aber vor allem aufgrund von Veränderungen der Lagerbestände, was kein Grund zur Sorge ist. Deutschland und die Euro-Zone sind hingegen im ersten Quartal noch leicht gewachsen (die Euro-Zone sogar um robuste 0,6 %). Ein Rückschritt im zweiten Quartal ist gut denkbar, wäre aber noch unter der Überschrift „normal“ zu verbuchen. Für eine echte Stagflation bräuchte es noch einige Quartale mit anhaltend hoher Inflation und zudem Nullwachstum.

 

 

  • Die Notenbanken unterliegen schon lange nicht mehr dem Missverständnis, dass Inflation automatisch auch zu Wachstum führt, sondern sie stellen sich klar gegen die Geldentwertung, vor allem in der weltweit wichtigsten Volkswirtschaft, den USA. Auch die EZB ist hier mittlerweile auf einem klareren Weg. Zwar ist der unmittelbare Einfluss auf die (kurzfristige) Inflation sehr begrenzt, wenn sie auf der Angebotsseite entsteht (siehe auch unser Logbuch vom 24. Juni 2022). Die Notenbanken können aber durch konkrete geldpolitische Schritte und die dazugehörige Kommunikation dafür sorgen, dass die längerfristigen Inflationserwartungen der Bevölkerung – anders als in den 1970ern – im Zaum gehalten werden. Letzteres ist bislang auch noch klar der Fall. Abzulesen aus diversen anerkannten Anleihemarktindikatoren, bewegen sie sich in den letzten Monaten meist im Bereich von 2 bis 2,5 %.
  • Eine Lohn-Preis-Spirale ist von daher bislang noch nicht in Gang gekommen. In der für ein internationales Aktienportfolio wichtigen US-Wirtschaft verlangsamte sich die Lohndynamik sogar zuletzt schrittweise. So fielen die Lohnsteigerungen in vielen Branchen in den letzten drei Monaten geringer aus als in den letzten zwölf Monaten (Stand Mai 2022). Die Gefahr einer Spirale ist damit gewiss noch nicht vollständig gebannt, die Vorzeichen sind aber auch nicht extrem negativ. In Deutschland stehen noch viele Lohnverhandlungen aus und auch hier wird es alles andere als einfach, einen guten Kompromiss zwischen fairen Löhnen und fairen Personalkosten zu finden. Sich aufschaukelnde Löhne und Preise liegen aber letztlich in niemandes Interesse (eine schmerzhafte Lehre aus der oben geschilderten Vergangenheit), was die Kompromissbereitschaft schärfen sollte.

 

Daneben macht mit Blick auf die weltweite Konjunktur derzeit auch die anhaltende Widerstandsfähigkeit der US-Unternehmen Hoffnung.

Hier herrschen weiterhin vielfach starke Bilanzen, positive Unternehmens-Cashflows und Produktivitätssteigerungen dank der Digitalisierung vor.

 

 

Gleichwohl kann man die Gefahr einer Rezession und im schlimmsten Fall einer Stagflation nicht wegdiskutieren.

Mögliche Gefahrenbeschleuniger gibt es einige: eine weitere Eskalation des Krieges, weitreichende kontraproduktive Lohnverhandlungen, komplette Energielieferungsstopps seitens Russlands, eine Corona-Entwicklung, die die Lieferprobleme nochmal verschärft …

Alles in allem halten wir das Risiko einer Stagflation aber dennoch für überschaubar, schon gar nicht halten wir sie für bereits begonnen, wie es teilweise bereits von renommierten Ökonomen verkündet wird.

 

Fazit

Die derzeitige konjunkturelle Lage weltweit ist durchaus ernst. Wir sind aber weiterhin davon überzeugt, dass Wirtschaft und Gesellschaft in der Lage sind, sich auch auf derartig widrige Rahmenbedingungen einzustellen. Die marktwirtschaftliche Ordnung bleibt dafür das Instrument schlechthin. Unser Wirtschaftskreislauf passt sich an und bringt Innovationen hervor.

Nicht zuletzt die aktuell starke Signalwirkung der Preisveränderungen bewirkt genau das. Ein Zurück zu einem „So war es mal und hat funktioniert“ ist letztlich gar nicht notwendig.

Das marktwirtschaftliche System selbst sorgt dafür – wir alle sorgen gemeinsam dafür –, dass auch unter diesen Bedingungen erfolgreiches Wirtschaften möglich bleibt. Dazu sind aktuell fraglos erhebliche Anstrengungen nötig. Sie werden aber nach unserer Überzeugung dazu führen, dass wir wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückfinden.

Und wenn es doch zur Rezession kommt?

Sie gehört, wie gesagt, zum Wirtschaftszyklus dazu.

Und die Aktienmärkte antizipieren sie oftmals. Nicht selten gab es in der Vergangenheit bereits wieder steigende Kurse, wenn die Rezession faktisch da war.

Schließlich wird an der Börse die Zukunft gehandelt – eine der wenigen Börsenweisheiten, die wirklich eine Daseinsberechtigung haben.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank

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