Zinsen: Renditekurve als Analyse-Werkzeug

Quirin Privatbank: Ziemlich genau vor einem Jahr, nämlich im März 2022, hat sich ein alter Bekannter der Finanzmärkte wieder gemeldet.

Nach Jahren der Abwesenheit ist der gute alte risikofreie Zins auch nach Deutschland zurückgekehrt.

Insbesondere auch für Staatsanleihen aller Laufzeiten gibt es wieder positive Renditen, wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht.

 

eit Anfang 2022 wieder in allen Laufzeiten positive Renditen für Staatsanleihen

 

Auch die Finanzbranche hat mittlerweile auf die veränderte Zinssituation reagiert und bietet in zunehmendem Umfang Anlagemöglichkeiten an, die mit einer positiven Verzinsung ausgestattet sind.

Diese an sich erfreuliche Entwicklung ist aber leider nicht ungetrübt. Mit dem Zins ist nämlich zugleich die alte Untugend der Finanzbranche zurückgekehrt, übermäßig komplizierte und kaum durchschaubare Zinsprodukte anzubieten.

Mit dieser schon lange und zu Recht von vielen Seiten kritisierten Praxis verfolgen die Anbieter letztlich vor allem zwei Ziele – auch wenn sie dies nie zugeben würden: Erstens bieten solche Produkte die Möglichkeit, mit hohen Rendite- bzw. Wertentwicklungschancen zu werben, was sie sehr attraktiv aussehen lässt.

Zweitens lassen sich durch komplexe, angeblich besonders intelligente und nutzenstiftende Konstruktionen hohe Gebührensätze rechtfertigen, ja manchmal sogar verschleiern.

Leider haben die meisten Menschen kaum eine Chance, dies im konkreten Einzelfall zu durchschauen, so dass sie solche Konstruktionen in der Regel nicht von seriösen Angeboten unterscheiden können.

 

 

Renditekurve als Analyse-Werkzeug

Und doch gibt es eine Möglichkeit, zumindest grob einzuschätzen, ob ein Zinsprodukt wirklich sinnvoll ist; und zwar mit der sogenannten Renditestruktur des Kapitalmarktes (kurz: Renditekurve), wie sie in der folgenden Grafik für Deutschland aktuell sowie für zwei ausgewählte Zeitpunkte der Vergangenheit dargestellt ist.

 

Renditestruktur des deutschen Kapitalmarktes

 

Die Renditekurve Deutschlands zeigt für Anlagefristen (im Fachjargon: Restlaufzeiten) von einem Jahr bis 30 Jahren die Jahresrenditen von Bundesanleihen, d. h. von Anleihen höchster Bonität, sprich geringstem Ausfallrisiko.

Sie stellt daher zu jedem Zeitpunkt eine Art Obergrenze für die jährlichen Wertentwicklungsmöglichkeiten dar, die der Kapitalmarkt für (mehr oder weniger) risikolose Anlagen bietet. Damit steht mit der jeweils aktuellen Renditekurve eine Art Referenz zur Verfügung, mit der jedes angebotene Zinsprodukt verglichen werden kann.

Dabei gilt der folgende eiserne Grundsatz: Wenn die für eine bestimmte Anlagedauer versprochene oder in Aussicht gestellte Rendite oder Wertentwicklung über dem entsprechenden Wert auf der Renditekurve liegt, dann folgt daraus zwingend, dass im Zinsangebot ein wie auch immer geartetes Risiko steckt.

Selbstverständlich ist eine Renditeerwartung, die den entsprechenden Kurvenwert übersteigt, zunächst nichts Verwerfliches und solche Angebote sind von daher nicht unbedingt zu beanstanden.

Der entscheidende Punkt aber ist: Seriöse Anbieter weisen neben den Chancen ausdrücklich auch auf die damit verbundenen Risiken hin und versuchen keinesfalls, sie zu verniedlichen oder gar zu verschweigen.

 

Ein konkretes Zinsprodukt als Beispiel

Um die praktische Bedeutung der Renditekurve als „Werkzeug“ in Anlegerhand zu unterstreichen, möchten wir ihre Anwendung anhand eines aktuellen konkreten Zinsangebots verdeutlichen.

Dabei handelt es sich um das von einer deutschen Kapitalanlagegesellschaft aufgelegte Zertifikat „Goldman Sachs 3,50% Festzinsanleihe“. Diese Anleihe hat eine Laufzeit bis zum April 2028, also fünf Jahre. Der (Nominal-)Zinssatz beträgt 3,5% p. a., was bei einem Emissions- und Rückzahlungskurs von 1.000 € auch der Endfälligkeitsrendite entspricht.

Betrachtet man nun die aktuelle Renditekurve, dann sieht man, dass die Rendite für Staatanleihen mit fünf Jahren Restlaufzeit bei knapp 2,5% liegt. Das Produkt bietet also rund einen Prozentpunkt mehr.

Wie bereits erwähnt, ist ein solcher Aufschlag selbstverständlich erst mal nichts Verwerfliches, sondern sogar positiv zu sehen. Der entscheidende Punkt ist, welche Risiken sich hinter diesem Aufschlag verbergen, ob sie offen kommuniziert sind und ob sie mit einem Prozentpunkt adäquat abgegolten sind.

Zunächst zu den Risiken: Hierbei ist entscheidend, dass dieses Produkt zwar von einer bonitätsstarken deutschen Kapitalanlagegesellschaft vertrieben wird, der formale Emittent jedoch Goldman Sachs ist.

 

 

Für die jederzeitige Zahlungsfähigkeit steht also ein amerikanisches Finanzinstitut gerade, das mit seinem höheren Anteil am Investmentbanking durchaus nennenswerten Risiken ausgesetzt ist. Der mögliche Ausfall des Zertifikats ist also nicht nur theoretischer Natur.

Immerhin wird die Bonität von Goldman Sachs von der Ratingagentur Moody’s lediglich als Baa1 eingestuft, also zwar noch mit sogenannter Investmentgrade-Qualität – dort allerdings im unteren Bereich, nicht allzu weit entfernt von einer spekulativen Anlage.

Die Versicherungsprämien gegen den Ausfall von Krediten, die bei Bedarf vor allem von institutionellen Anlegern zur Risikoabsicherung von Anleiheinvestments gezahlt werden, liegen derzeit bei 0,9 Prozent, etwa auf dem Niveau der Deutschen Bank oder der französischen Banque Nationale de Paris (BNP).

Für beide Anbieter ist dieses Produkt ein extrem gutes Geschäft. Für Goldman Sachs, weil die Bank für selbst emittierte Anleihen mit gleicher Laufzeit derzeit rund 4% statt 3,50% Zins bezahlen müsste; für die hiesige Kapitalanlagegesellschaft, weil sie sich für dieses Produkt mit einer Gebühr von immerhin 2,65% des Verkaufspreises wahrlich fürstlich entlohnen lässt.

Legt man die 2,65% auf die fünf Jahre Restlaufzeit um, dann zahlen die Kundinnen und Kunden im Durchschnitt pro Jahr 0,53%. Der Aufschlag, der bei ihnen effektiv ankommt, beträgt also nicht 1%, sondern aufgrund der für ein Zinsprodukt exorbitant hohen Kosten nur noch 0,47%.

Die große Frage ist, ob Käuferinnen und Käufer dieses Produkts sich wirklich darüber im Klaren sind, dass sie für einen Zinsaufschlag von 0,47% p. a. das Risiko eines Zahlungsausfalls eines amerikanischen Investmenthauses auf sich nehmen. Ohne es beweisen zu können, vermuten wir, dass dies nicht der Fall ist.

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Bei diesem Beispiel geht es uns gar nicht um das konkrete Produkt. Stattdessen wollten wir vor allem verdeutlichen, wie die Renditekurve dabei helfen kann, verschiedene Zinsangebote überschlagsmäßig zu beurteilen und gravierende Anlagerfehler zu vermeiden.

Und ein weiterer Aspekt ist im Umfeld aus dem Boden sprießender Zinsprodukte noch zu bedenken.

 

Realzinsen nach wie vor negativ

Mit positiven Zinsen und Renditen ist an den Kapitalmärkten zwar wieder eine gewisse Normalität eingekehrt. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden: Die sogenannte Realverzinsung ist nach wie vor negativ.

Im Gegensatz zum Nominalzins, der angibt, um wie viel Prozent sich der Geldwert eines Vermögens pro Jahr erhöht, zeigt uns der Realzins, wie sich die Kaufkraft dieses Vermögens dabei entwickelt.

Bei der Ermittlung des Realzinses wird daher neben dem Nominalzins auch die jährliche Geldentwertung, sprich die Inflation, berücksichtigt.

Die folgende Grafik zeigt beispielhaft den Verlauf der Rendite für 10-jährige Bundesanleihen, der jährlichen Inflation sowie des sich daraus ergebenden Realzinses.

 

Trotz Zinsanstieg weiterhin negativer Realzins

 

Auch wenn man durchaus damit rechnen kann, dass die Inflationsrate nicht so hoch bleiben wird wie aktuell, macht der Chart doch deutlich, dass selbst im Falle weiter rückläufiger Inflationsraten auch zukünftig mit negativen bzw. allenfalls leicht positiven Realzinsen gerechnet werden muss.

Daraus ergibt sich: Mit Zinsanlagen allein ist die Erhöhung oder auch nur der Erhalt der Kaufkraft eines Vermögens auf absehbare Zeit nicht möglich.

Will man daher eine Wertsteigerung erreichen, die so stark ist, dass sie nicht nur den Geldwert des Vermögens, sondern auch dessen Kaufkraft erhöht oder zumindest erhält, kommt man an der renditestärksten Anlageklasse, sprich an Aktien, nicht vorbei.

Die von uns an dieser Stelle immer wieder beschworenen Grundsätze einer vernünftigen Wertpapieranlage – Prognosefreiheit, breitestmögliche Streuung, Internationalisierung, Kosteneffizienz usw. –bleiben daher auch in der schönen neuen Welt positiver Zinsen unverändert wichtig.

 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

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