Vontobel Marktkommentar: Die Europäische Zentralbank als Game Changer?

Marktkommentar von Dr. Thomas Steinemann, Chefstratege der Vontobel-Gruppe

Die ersten hundert Tage des neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, sind bemerkenswert. Seine erste Amtshandlung war eine Zinssenkung. Ein Einstand "con fuoco" sozusagen: Draghi korrigierte mit diesem Schritt die viel zu restriktive Geldpolitik seines Vorgängers. Dabei riskierte er den Vorwurf, er nehme als Italiener Partei für sein Land und betreibe eine "südländisch motivierte" expansionistische Geldpolitik. In der Folge senkte er die Zinsen noch ein weiteres Mal. Mit dieser Lockerung der Geldpolitik lag er zweifelsfrei richtig. Dass unter seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet die Zügel im Jahr 2011 viel zu stark angezogen wurden, lässt sich an der inversen Zinskurve – länger laufende Obligationen weisen einen niedrigeren Zins auf als kurz laufende Geldmarktpapiere – erkennen.

Die zweite bedeutende Massnahme von Mario Draghi war das Bereitstellen grosser Mengen von flüssigen Mitteln mit einer dreijährigen Laufzeit. Mit diesem LTRO ("Long Term Repo Operations") genannten Programm hat sich das Risiko einer systemischen Krise im europäischen Bankensektor deutlich verringert. Dies lässt sich an der Verbesserung verschiedener Risikokennzahlen ablesen: So hat sich im Januar die Versicherungsprämie für den Ausfall von Bankenobligationen – die sogenannte CDS-Prämie – spürbar verringert. Auch die sogenannten EONIA Spreads – eine Art Fiebermesser des Bankensystems – sind kleiner geworden. Dass auch die Differenz zwischen Unternehmensanleihen und Staatsanleihen zurückgegangen ist, zeigt, dass sich das wirtschaftliche Umfeld zumindest vorerst stabilisiert und teilweise sogar verbessert hat. Die jüngsten Konjunkturdaten aus Deutschland und den USA bestätigen dies: Die US-Arbeitsmarktdaten sind überraschend stark ausgefallen. In Deutschland beurteilen die Unternehmen die Zukunft wieder optimistischer, was sich in der Verbesserung des IFO-Indexes äussert.

Aber auch die amerikanische Geldpolitik zeigt sich weiterhin von einer äusserst expansiven Seite. Die US-Notenbank Fed will die Leitzinsen bis Ende 2014 nahe bei Null belassen. Sie hat sich mit dieser Aussage sehr weit aus dem Fenster gelehnt, und es wird wohl ihr Geheimnis bleiben, wie weit im Voraus sich die Geldpolitik vorhersagen lässt. Aber jetzt, da dieses Ziel feststeht, werden die Taten der US-Währungshüter an ihm gemessen werden. Für die Finanzmärkte ist die Ankündigung jedenfalls eine gute Neuigkeit. Alles in allem hat sich das Umfeld für riskantere Anlageklassen verbessert, wenn auch vor allem dank liquiditätsgetriebenen Massnahmen. Da wir von einer gewissen Entspannung der Eurokrise im Jahresverlauf ausgehen – auch wenn diese noch längst nicht gelöst ist, denn ein grosser Wurf wie eine Fiskalunion wird mehr als zehn Jahre benötigen – dürften Aktien, Unternehmensanleihen und Anleihen in ausgewählten Schwellenländern nun attraktiv sein. Zwar wird die Volatilität an den Märkten aufgrund bestehender Unsicherheiten im Zusammenhang mit der ungelösten Griechenland-Problematik vorerst hoch bleiben. Denn es bleibt die Gefahr bestehen, dass ein Bankrott Griechenlands eine Ansteckung der anderen peripheren Länder mit sich bringt. Dies ist das Hauptrisiko in diesem Jahr. Doch früher oder später werden sich die Investoren wieder den Fundamentaldaten zuwenden und feststellen, wie günstig gewisse Aktien und Aktienmärkte bewertet sind.

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