Europa am Scheideweg – Investieren nach dem Brexit



Pioneer Fonds

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Wenige Zeit nach dem Brexit-Votum, das viele überrascht hat, stellen sich Anlegern aus unserer Sicht zwei wichtige Fragen:

1) Wird es den politischen Entscheidungsträgern gelingen, eine stärkere negative Marktreaktion auf kurze Sicht zu stabilisieren?

2) Wie werden sich der europäische Integrationsprozess und die Europäische Union, wie wir sie kennen, mittel- bis langfristig weiter entwickeln?


Europa in der Unsicherheit


Das Votum hat zweifellos eine neue Phase der Unsicherheit über die Zukunft der Europäischen Union in ihrer bisherigen Form eröffnet. Im Moment lässt sich jedoch schwer vorhersagen, welchen Weg die europäischen Regierungschefs einschlagen werden, um den Schaden für die EU zu begrenzen (nach der Abstimmung kam z. B. die Idee zur Sprache, das europäische Integrationsprojekt nicht mehr als irreversibel festzuschreiben).

Beginnen wir mit der ersten Frage. Bei einem langen Brexit-Prozess mit mehrjährigen schwierigen Verhandlungen zwischen einer neuen britischen Regierung und Brüssel, wie ihn der Konsens erwartet, dürfte die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Europa wie in Großbritannien steigen. Vor allem die Unsicherheit über Großbritanniens künftige Handelsbeziehungen könnte die Konjunktur belasten und die Investitionsbereitschaft sowie das Verbrauchervertrauen schwächen. Die Abwertung des Pfundes könnte sich fortsetzen, da die Unsicherheit die Kapitalströme nach Großbritannien verringern und somit das Wachstum beeinträchtigen könnte.


Lehman 2.0?


Die Frage ist: Müssen wir mit einem neuen „Lehman-Ereignis” rechnen? Davon gehen wir aus einem einfachen Grund nicht aus: dem Verschuldungsgrad. In 2008 hatte der Privatsektor massiv Schulden akkumuliert, da er von der (sich als falsch erweisenden) Annahme ausging, das Risiko über unzählige strukturierte Produkte streuen zu können. Die überstürzte Abwicklung dieser Positionen trug schließlich dazu bei, dass das globale Finanzsystem nach der Lehman-Pleite schlagartig lahmgelegt wurde.

Nichts dergleichen ist jemals in Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprojekt geschehen. Und etwaige größere Engagements in europäischen Wertpapieren beruhten auf der Einschätzung, dass der Euro als Gemeinschaftswährung immer auch die Unterstützung der EZB erfahren würde. Dies gilt insbesondere auch nach Draghis berühmtem Versprechen, „alles Notwendige zu tun“.

Die eigentliche Frage lautet also, ob die Finanzmärkte in Phasen des Risikoabbaus weiter auf Stützungsmaßnahmen der Zentralbank setzen können und ob sich die Anleger auch künftig auf diese Maßnahmen verlassen. Wir glauben, dass Zentralbanken (wie die EZB), die derzeit mit quantitativen Lockerungsprogrammen operieren, ihre Ankaufprogramme gegebenenfalls ausweiten könnten, während andere Zentralbanken, die (wie die Fed) begonnen haben, ihre Geldpolitik zu normalisieren, erwartete Zinserhöhungen hinausschieben könnten. Das heißt, die bisherige Politik, Finanzanlagen mit massiven Geldspritzen und extrem niedrigen beziehungsweise negativen Zinsen zu stützen, könnte fortgesetzt werden.


Geldpolitik könnte an Grenzen geraten


Allerdings könnten die Märkte die Wirksamkeit einer Ausweitung der Geldpolitik hinterfragen und damit die Glaubwürdigkeit von Maßnahmen der Zentralbank auf den Prüfstand stellen. Unterdessen könnte die ausweglose politische Situation die Planung und Umsetzung einer effektiven Fiskalpolitik sowie seit langem benötigten private Investitionsanreize für die Realwirtschaft weiter hemmen.

Die Geldpolitik, die die Zentralbanken in den Jahren nach der großen Finanzkrise umgesetzt haben, war unmittelbar nach der Krise zwar absolut notwendig, um eine stabile Funktion des Finanzsystems zu gewährleisten. Letztlich trägt sie jedoch auch zu den aktuellen Problemen bei, indem sie die Liquiditätsbedingungen und Bewertungen in wichtigen Marktsegmenten (Staatsanleihen, Unternehmensanleihen) verzerrt. Sie trugen zudem auch zu den längerfristigen Trends aus Ungleichverteilungen von Wohlstand und Einkommen bei, sowie zu verhaltenem Wachstum mit enttäuschender Beschäftigungsentwicklung. Trends, die schon seit vielen Jahren zu beobachten sind und gegen die sich das Wahlvolk nun nicht nur in Großbritannien auflehnt, sondern auch im übrigen Europa und in den USA. Das Votum für den Brexit ist aus unserer Sicht eher als ein Votum gegen Ausgrenzung (u.a. von den Vorteilen der Globalisierung) als ein Votum gegen Europa an sich zu interpretieren.

Aus dieser Perspektive betrifft die zweite Frage zur langfristigen Zukunft des euro-päischen Integrationsprojekts nicht die institutionellen Eintritts- oder Austrittsmechanismen der Europäischen Union. Sie ist existenzieller und betrifft den wirtschaftlichen und sozialen Nutzen, den ein mehr (oder weniger, je nach Standpunkt) vereintes Europa seinen Bürgern bietet. Auf diese sehr konkreten Fragen müssen die europäischen Regierungschefs und die Bürger in den nächsten Jahren eine Antwort finden. Sie werden sich das „Warum und Wozu“ einer europäischen Integration von Grund auf neu überlegen müssen, einschließlich ihrer politischen Folgen u.a. für Wirtschaft und Gesellschaft, sowie innere und äußere Sicherheit.


Diese Alternativen stehen offen:


Wir haben nicht die Ambition vorherzusagen, welches Szenario eintreffen wird. Wir beobachten lediglich, dass Europa vor einer historischen Entscheidung steht, bei der es (logischerweise) zwei mögliche, aber entgegengesetzte Alternativen gibt.

Die erste Alternative wäre eine Entwicklung hin zu einer stärkeren Fragmentierung der EU, die ein Auseinanderbrechen der Freihandelszone und ein Scheitern des langfristigen Projekts einer politischen Union zur Folge haben würde. Die zweite Alternative besteht in erneuerten Bemühungen um eine politische Integration, die über eine reine Währungs- und Wirtschaftsunion hinausgeht. Welchen Weg Europa einschlagen wird, werden wir erst in einigen Monaten sehen.

Die derzeitigen Regierungen könnten (nicht nur in Europa) in naher Zukunft mit einer wachsenden Unzufriedenheit ihrer Wähler konfrontiert werden, die sich nicht nur in einer zunehmenden EU-Gegnerschaft, sondern allgemein in einer Verbreitung populistischer Standpunkte, Fremdenfeindlichkeit usw. manifestieren könnte.

Von daher ist es durchaus möglich, dass „gemäßigte“ Regierungschefs in ihrem Programm populistische Forderungen aufgreifen müssen, wie eine höhere Besteuerung von Unternehmen und Besserverdienenden, Protektionismus (u.a. Einfuhrzölle). All dies könnte das Wachstum und die Unternehmensgewinne belasten, wäre also ungünstig für Aktienanlagen.


Anleihen weiter negativ


Andererseits gehen wir davon aus, dass die derzeit verfolgte Geldpolitik mit negativen Zinsen und quantitativer Lockerung die Anleiherenditen weiter im negativen Bereich (oder in der Nähe von null) halten wird. Und schließlich wird eine Anpassung in der Übergangsphase höchstwahrscheinlich über den Wechselkurs stattfinden, besonders wenn die regionalen Unterschiede in der Geldpolitik zumindest teilweise bestehen bleiben.

Die Bedingungen für Anleger sind also nicht gerade ermutigend. Das heißt jedoch nicht, dass es keine langfristigen Gelegenheiten mehr geben wird, die durch aktives Management genutzt werden können. In einer Welt, in der Beta gegen Null tendiert und die Renditen fast ausnahmslos durch Alpha2 generiert werden, ist aktives Management aus unserer Sicht passivem Management überlegen.

Die aktuellen Marktverwerfungen könnten aktiven Managern die Gelegenheit bieten, nach unterbewerteten Unternehmen und Sektoren Ausschau zu halten, die während der aktuellen Marktturbulenzen ungerechtfertigt abgestraft wurden. Vorerst werden wir uns weiter um die Risikosteuerung kümmern, um die Portfolios unserer Kunden möglichst stabil zu halten, und alle nötigen Entscheidungen zum Schutz gegen die aktuelle Volatilität zu begrenzen.

Autor: Giordano Lombardo

 

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